Im Land Der Weissen Wolke
gekommen waren: Direkt vor Helens Kabine führten Stufen hinauf. Inzwischen waren auch provisorische Rampen errichtet worden, um die Tiere einzuladen. Von der Besatzung war am Heck des Schiffes allerdings niemand zu sehen; im Gegensatz zum Eingang am anderen Ende wurde dieser nicht bewacht. Dabei wimmelte es auch hier von Auswandererfamilien, die ihr Gepäck an Bord schleppten und sich weinend und lamentierend von Angehörigen verabschiedeten. Gedränge und Lärm waren unerträglich.
Dann aber teilte sich die Menge an den Stegen, über die Ladung und Vieh an Bord gebracht wurden. Der Grund dafür war leicht zu erkennen: Soeben wurden zwei Pferde verladen, und eines von ihnen war verängstigt. Der kleine, drahtige Mann, dessen blaue Tätowierungen an beiden Armen ihn wohl als Besatzungsmitglied auswiesen, hatte alle Hände voll zu tun, das Tier zu halten. Helen überlegte, ob man den Mann wohl im Rahmen irgendeiner Strafaktion zu dieser berufsfremden Aufgabe verdonnert hatte. Bestimmt besaß er keine Erfahrung mit Pferden, denn er handhabte den kräftigen schwarzen Hengst reichlich ungeschickt.
»Nun komm schon, du schwarzer Teufel, ich hab nicht unendlich Zeit!«, brüllte er das Tier an, das allerdings nicht darauf reagierte. Im Gegenteil, der Rappe zerrte noch entschlossener rückwärts und legte dabei böse die Ohren zurück. Er schien fest entschlossen, keinen Huf auf die gefährlich wackelnde Rampe zu setzen.
Das zweite Pferd, das Helen nur undeutlich hinter ihm erkannte, schien ruhiger zu sein. Vor allem wirkte seine Führerin weit couragierter. Zu ihrer Überraschung erkannte Helen ein zierliches Mädchen in eleganter Reisekleidung. Ungeduldig wartete es mit dem Führstrick einer stämmigen, braunen Stute in der Hand. Als der Hengst noch immer keine Anstalten machte, vorwärts zu gehen, mischte das Mädchen sich ein.
»So wird das nichts, geben Sie ihn mir mal!« Verwundert beobachtete Helen, wie die junge Lady ihre Stute kurzerhand an einen der wartenden Auswanderer übergab und dem Matrosen den Hengst abnahm. Helen rechnete damit, dass das Tier sich losreißen würde; schließlich hatte schon der Mann es kaum halten können. Stattdessen beruhigte der Rappe sich sofort, als das Mädchen geschickt den Führstrick verkürzte und ihn freundlich ansprach.
»So, das machen wir jetzt mal Schritt für Schritt, Madoc! Ich gehe vor, du kommst nach. Und wag es ja nicht, mich umzurennen!«
Helen hielt den Atem an, während der Hengst der jungen Lady tatsächlich folgte – angespannt, aber äußerst manierlich. Das Mädchen lobte und klopfte ihn, als er schließlich sicher an Bord stand. Der Hengst sabberte daraufhin auf ihr dunkelblaues, samtenes Reisekostüm, doch sie schien es gar nicht zu bemerken.
»Wo bleiben Sie denn jetzt mit der Stute!«, rief sie stattdessen wenig damenhaft zu dem Matrosen hinunter. »Igraine tut Ihnen nichts! Gehen Sie einfach vorweg!«
Die braune Stute zeigte sich tatsächlich gelassener als der junge Hengst, obwohl auch sie ein wenig tänzelte. Der Matrose hielt ihren Strick am äußersten Ende. Dabei machte er ein Gesicht, als balanciere er eine Dynamitstange. Immerhin brachte er das Pferd an Bord, und Helen konnte nun auch ihre Beschwerde anbringen. Als das Mädchen und der Mann die Tiere direkt an ihrer Kabine vorbei aufs Unterdeck führten, wandte sie sich an den Matrosen.
»Wahrscheinlich ist es nicht Ihre Schuld, aber jemand muss hier etwas unternehmen. Wir können unmöglich neben den Ställen wohnen. Die Geruchsbelästigung ist kaum zu ertragen! Und was ist, wenn die Biester mal freikommen? Dann sind wir hier unseres Lebens nicht sicher!«
Der Matrose zuckte die Schultern. »Da kann ich nichts machen, Madame. Befehl vom Kapitän. Das Viehzeug muss mit. Und die Kabinenzuteilung ist immer gleich: Alleinreisende Männer vorn, Familien in der Mitte, und alleinreisende Frauen hinten. Da Sie die einzigen alleinreisenden Frauen sind, können Sie mit keinem tauschen. Finden Sie sich damit ab.« Keuchend hastete der Mann hinter der Stute her, die es jetzt offensichtlich eilig hatte, dem Hengst und der jungen Lady zu folgen. Das Mädchen lavierte zunächst den Rappen, dann die Braune in die zwei nebeneinander liegenden Ständer und band sie dort fest. Als sie wieder zum Vorschein kam, war ihr blauer Samtrock mit Heuhalmen und Stroh bedeckt.
»Unpraktisches Zeug!«, schimpfte das Mädchen und versuchte, das Kleid auszuschütteln. Dann gab sie es auf und wandte sich Helen zu.
»Tut
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