Im Land Der Weissen Wolke
Stubenmädchen zu spezialisieren. Die Personallage in Neuseeland soll extrem schlecht sein. Also werde ich den Kindern eine möglichst umfassende Ausbildung mit auf den Weg geben, damit sie ihrer Herrschaft in möglichst vieler Hinsicht nützlich sein können.«
Helen nickte Elizabeth freundlich zu, die eben formvollendet Wasser in ihren Kaffeebecher geschüttet hatte. Eventuelle Tropfen fing sie mit einer Serviette auf.
Gwyneira blieb skeptisch. »Nützlich?«, fragte sie. »Diese Kinder? Ich wollte gestern schon fragen, warum man sie nach Übersee schickt, aber jetzt wird mir einiges klar ... Vermute ich richtig, dass man sie im Waisenhaus gern loswerden möchte, aber niemand in London kleine, halb verhungerte Dienstmädchen will?«
Helen nickte. »Die rechnen mit jedem Penny. Ein Kind ein Jahr lang im Waisenhaus unterzubringen, es zu ernähren, zu kleiden und zur Schule zu schicken, kostet drei Pfund. Die Überfahrt kostet vier, aber dafür sind sie die Kinder dann ein für alle Mal los. Sonst müssten sie zumindest Rosemary und die Zwillinge noch mindestens zwei Jahre behalten.«
»Aber der halbe Fahrpreis gilt doch nur für Kinder bis zwölf«, wandte Gwyneira ein, was Helen wunderte. Hatte dieses reiche Mädchen sich tatsächlich nach den Preisen im Zwischendeck erkundigt? »Und eine Stelle können die Mädchen frühestens mit dreizehn antreten.«
Helen verdrehte die Augen. »In der Praxis auch schon mit zwölf, wobei ich schwören würde, dass zumindest Rosemary kaum das achte Jahr überschritten hat. Aber Sie haben Recht: Dorothy und Daphne hätten eigentlich schon den vollen Preis zahlen müssen. Doch die ehrenwerten Ladys vom Waisenhauskomitee haben sie für die Reise wahrscheinlich ein bisschen jünger gemacht ...«
»Und kaum dass wir ankommen, werden die Kleinen dann wie durch ein Wunder altern, damit man sie als Dreizehnjährige vermitteln kann!« Gwyneira lachte und suchte in den Taschen ihres weiten Hauskleides, über das sie nur einen leichten Umhang geworfen hatte. »Die Welt ist schlecht. Hier, Mädchen, habt ihr erst mal was Richtiges zum Kauen. Ist ja schön, Servieren zu spielen, aber davon kriegt ihr auch nichts auf die Rippen. Hier!«
Vergnügt förderte die junge Frau händeweise Muffins und süße Brötchen zutage. Die Mädchen vergaßen umgehend die eben gelernten Tischmanieren und stürzten sich auf die Leckerbissen.
Helen versuchte, die Ordnung wieder herzustellen und die Süßigkeiten zumindest gerecht zu verteilen. Gwyneira strahlte.
»War doch eine gute Idee, nicht?«, fragte sie Helen, als die sechs Kinder kauend auf dem Rand eines Rettungsbootes hockten, wobei sie weisungsgemäß kleine Bissen nahmen und sich die Küchlein nicht als Ganzes in den Mund stopften. »Auf dem Oberdeck servieren sie ein Essen wie im Grand Hotel, da musste ich an Ihre dürren Mäuse hier denken. Also hab ich den Frühstückstisch ein bisschen abgeräumt. Das ist Ihnen doch recht, oder?«
Helen nickte. »Von unserer Verpflegung hier werden sie jedenfalls nicht zunehmen. Die Portionen sind nicht besonders reichhaltig, und wir müssen das Essen auch selbst aus der Kombüse holen. Da zweigen die älteren Mädchen auf dem Weg schon die Hälfte ab – ganz abgesehen davon, dass zu den Auswandererfamilien mittschiffs ein paar freche Bengel gehören. Noch sind sie eingeschüchtert, aber passen Sie auf – in zwei, drei Tagen werden sie den Mädchen auflauern und Wegezoll verlangen! Aber die paar Wochen werden wir auch noch überstehen. Und ich versuche, den Kindern etwas beizubringen. Das ist mehr, als bisher sonst jemand getan hat.«
Während die Kinder zuerst aßen und dann mit Cleo spielten, schlenderten die jungen Frauen plaudernd an Deck auf und ab. Gwyneira war neugierig und wollte möglichst alles über ihre neue Bekanntschaft erfahren. Schließlich erzählte Helen von ihrer Familie und ihrer Stelle bei den Greenwoods.
»Dann wohnen Sie also nicht wirklich schon in Neuseeland?«, fragte Gwyn ein wenig enttäuscht. »Haben Sie gestern nicht gesagt, Ihr Ehemann würde Sie dort erwarten?«
Helen wurde rot. »Nun ... mein zukünftiger Ehemann. Ich ... Sie werden das sicher albern finden, aber ich reise nach Übersee, um mich dort zu verheiraten. Mit einem Mann, den ich bisher nur aus Briefen kenne ...« Verschämt blickte sie zu Boden. Die Ungeheuerlichkeit ihres Abenteuers wurde ihr jedes Mal erst dann richtig bewusst, wenn sie anderen davon erzählte.
»Dann geht es Ihnen genau wie mir«, meinte
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