Im Land Der Weissen Wolke
ich eine Familie ernähren kann, werde ich für Sie da sein! Wenn Sie nur warten, Miss Davenport!«
Helen schüttelte den Kopf. Sie musste dieses Gespräch jetzt beenden. »George, selbst wenn ich dich lieben würde, ich kann nicht warten. Wenn ich eine Familie haben will, muss ich die Chance jetzt ergreifen. Howard ist diese Chance. Und ich werde ihm eine gute und treue Gattin sein.«
George blickte sie verzweifelt an. Sein schmales Gesicht spiegelte alle Qualen verschmähter Leidenschaft, und Helen meinte fast, hinter den noch unfertigen Zügen des Jungen das Antlitz jenes Mannes zu erkennen, zu dem George einmal werden würde. Ein liebenswerter, weltkluger Mann, der sich nicht vorschnell verpflichtete – und der seine Versprechen hielt. Helen hätte den Jungen gern tröstend in die Arme genommen, aber das kam natürlich nicht in Frage.
Sie wartete schweigend, bis George sich einen Ruck gab. Helen rechnete damit, dass ihm kindliche Tränen in die Augen stiegen, doch George erwiderte ihren Blick ruhig und fest.
»Ich werde Sie immer lieben!«, erklärte er. »Immer. Egal, wo Sie sein werden und was Sie tun. Egal, wo ich sein werde und was ich tue. Ich liebe Sie, nur Sie allein. Vergessen Sie das nie, Miss Davenport.«
5
Die Dublin war ein imponierendes Schiff, selbst wenn sie noch nicht unter vollen Segeln stand. Helen und den Waisenmädchen erschien sie groß wie ein Haus, und tatsächlich sollte die Dublin in den nächsten drei Monaten deutlich mehr Menschen beherbergen als eine gewöhnliche Mietskaserne. Helen hoffte, dass sie nicht auch ebenso brand-und einsturzgefährdet war, aber zumindest auf Seetüchtigkeit wurden die Schiffe nach Neuseeland vor der Abfahrt überprüft. Die Schiffseigner mussten den Kontrolleuren der Krone nachweisen, dass eine ausreichende Kabinenbelüftung gewährleistet war und dass sie genügend Proviant an Bord hatten. Diese Verpflegung wurde heute zum Teil noch geladen, und Helen ahnte bereits, was ihr blühte, als sie die Fässer voll Pökelfleisch, die Säcke voll Mehl und Kartoffeln und die Pakete voll Schiffszwieback am Anleger stehen sah. Sie hatte schon gehört, dass die Kost an Bord alles andere als abwechslungsreich sei – zumindest für die Passagiere im Zwischendeck. Die Kabinengäste der ersten Klasse wurden da ganz anders verpflegt. Für die, munkelte man, käme sogar ein Koch an Bord.
Das Einsteigen des »gemeinen Volkes« überwachten ein ruppiger Schiffsoffizier und der Bordarzt. Letzterer musterte Helen und die Mädchen kurz, fühlte einmal über die Stirn der Kinder, womit er vermutlich eine fiebrige Erkrankung erkennen wollte, und ließ sich ihre Zungen zeigen. Als dies alles keinen Befund ergab, nickte er dem Offizier zu, der daraufhin die Namen auf einer Liste abstrich.
»Kabine eins im Heckteil«, erklärte er und winkte Helen und die Mädchen schnell weiter. Die sieben tasteten sich durch enge, dunkle Gänge im Bauch des Schiffes, die zudem von aufgeregten Menschen und ihren Habseligkeiten nahezu verstopft waren. Helen hatte nicht viel Gepäck, doch auch die kleine Reisetasche wurde ihr allmählich schwer. Die Mädchen besaßen noch weniger; sie trugen nur ihre Nachtwäsche und je ein Kleid zum Wechseln in einem Bündel bei sich.
Endlich fand sich die Kabine, und die Mädchen purzelten aufatmend hinein. Helen selbst jedoch war alles andere als begeistert von dem winzigen Kämmerchen, das nun für bis zu drei Monate ihre Wohnung sein sollte. Die Einrichtung des extrem niedrigen und dunklen Raums bestand aus einem Tisch, einem Stuhl und sechs Kojen – Etagenbetten, wie Helen entsetzt feststellte, und noch dazu eins zu wenig. Zum Glück waren Mary und Laurie es gewohnt, das Bett zu teilen. Sie nahmen auch gleich eine der mittleren Kojen in Besitz und kuschelten sich dort eng aneinander. Noch immer fürchteten sie sich vor der Reise. Die vielen Menschen und der Lärm an Bord machten ihnen Angst.
Helen störte sich dagegen eher an dem durchdringenden Gestank nach Schafen, Pferden und anderem Getier, der vom Unterdeck zu ihnen hinaufdrang. Ausgerechnet neben und unter Helens Unterkunft hatte man provisorische Pferche für Schafe und Schweine errichtet, sowie Ständer für eine Kuh und zwei Pferde. Helen fand das alles unzumutbar und beschloss, sich zu beschweren. Sie wies ihre Mädchen an, in der Kabine zu warten, und machte sich erneut auf den Weg an Deck. Zum Glück gab es einen kürzeren Weg an die frische Luft als den durchs Zwischendeck, den sie
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