Im Land Der Weissen Wolke
dieser Howard. Außerdem pflegte man gerade bei Eheverhandlungen unter Adligen die Karten auf den Tisch zu legen. Die zukünftigen Partner mussten wissen, was sie erwartete, und hier vermisste Gwyneira Angaben zu Howards wirtschaftlichen Verhältnissen. Sie fand es auch seltsam, dass er nicht nach einer Mitgift fragte oder zumindest ausdrücklich darauf verzichtete.
Nun hatte der Mann natürlich nicht damit gerechnet, dass Helen gleich das nächste Schiff nehmen würde, um in seine Arme zu eilen. Vielleicht dienten diese Schmeicheleien nur der ersten Kontaktaufnahme. Aber befremdlich fand sie es schon.
»Er ist eben sehr gefühlvoll«, nahm Helen ihren Zukünftigen in Schutz. »Er schreibt genau so, wie ich es mir gewünscht habe.« Sie lächelte glücklich und in sich versunken.
Gwyneira gab das Lächeln zurück. »Dann ist es gut«, erklärte sie, nahm sich im Stillen aber vor, ihren künftigen Schwiegervater bei nächster Gelegenheit nach Howard O’Keefe zu fragen. Der züchtete schließlich auch Schafe. Gut möglich, dass die Männer einander kannten.
Zunächst allerdings kam sie nicht dazu – schon deshalb, weil die Mahlzeiten, die gewöhnlich den geeigneten Rahmen für solch angelegentliche Erkundigungen bildeten, aufgrund des rauen Seegangs meistens ausfielen. Das schöne Wetter am ersten Reisetag hatte sich als trügerisch erwiesen. Kaum war der Atlantik erreicht, schlug der Wind um, und die Dublin kämpfte sich durch Stürme und Regen. Viele Passagiere waren seekrank und zogen es deshalb vor, auf die Mahlzeiten zu verzichten oder sie zumindest in ihrer Kabine einzunehmen. Gerald Warden und Gwyneira waren zwar beide nicht empfindlich, doch wenn kein offizielles Dinner anberaumt war, aßen sie oft zu unterschiedlichen Zeiten. Gwyneira tat das gezielt; schließlich hätte ihr künftiger Schwiegervater bestimmt nicht gebilligt, dass sie riesige Mengen an Nahrung orderte, um sie Helens kleinen Zöglingen zukommen zu lassen. Gwyn dagegen hätte am liebsten auch noch alle anderen Zwischendeckpassagiere mit Essen versorgt. Zumindest die Kinder brauchten jeden Bissen, den sie bekommen konnten – schon um sich halbwegs warm zu halten. Zwar war Hochsommer und die Außentemperaturen trotz des Regens nicht allzu niedrig. Doch bei schwerer See brach Wasser in die Kabinen auf dem Zwischendeck, und dann war alles feucht; dann gab es kaum einen trockenen Platz, an dem man sich setzen konnte. Helen und die Mädchen froren in ihren klammen Kleidern, aber Helen hielt trotzdem eisern an den täglichen Unterrichtsstunden für ihre Zöglinge fest. Die anderen Kinder auf dem Schiff erhielten zurzeit noch keinen Schulunterricht. Der Schiffsarzt, dem diese Aufgabe obliegen sollte, war seinerseits seekrank und betäubte sich mit reichlich Gin aus der Reiseapotheke.
Auch sonst waren die Zustände auf dem Zwischendeck alles andere als erfreulich. Im Familien-und Männerbereich liefen bei stürmischer See die Toiletten über, dazu wusch sich die Mehrheit der Passagiere selten bis nie. Bei den aktuell herrschenden Temperaturen zeigte Helen ja selbst wenig Lust dazu, bestand aber nach wie vor darauf, dass ihre Mädchen einen Teil der täglichen Wasserration zur Körperhygiene verwendeten.
»Ich würde auch die Kleider gern waschen, aber die trocknen einfach nicht, das ist hoffnungslos«, klagte sie, woraufhin Gwyneira versprach, zumindest Helen mit einem Ersatzkleid auszuhelfen. Ihre eigene Kabine war beheizt und perfekt isoliert. Hier drang auch bei härtestem Seegang kein Wasser ein, das die weichen Teppiche und eleganten Polstermöbel hätte verderben können. Gwyneira hatte ein schlechtes Gewissen, aber sie konnte Helen unmöglich anbieten, mit den Kindern zu ihr zu ziehen. Gerald hätte das niemals gestattet. So nahm sie höchstens mal Dorothy oder Daphne unter dem Vorwand mit hinauf, etwas an ihren Kleidern richten zu müssen.
»Warum hältst du deine Schulstunden eigentlich nicht unten bei den Tieren?«, fragte sie schließlich, nachdem Helen ihr wieder einmal zitternd auf Deck begegnete, wo die Mädchen abwechselnd aus Oliver Twist vorlasen. Es war kalt, aber immerhin trocken, und die frische Luft war angenehmer als der feuchte Dunst auf dem Zwischendeck. »Da wird jeden Tag sauber gemacht, auch wenn die Matrosen fluchen. Mr. Warden prüft nach, ob die Schafe und Pferde gut untergebracht sind. Und der Proviantmeister ist mit den Schlachttieren pingelig. Die schleppt er schließlich nicht mit, damit sie ihm eingehen und er
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