Im Land Der Weissen Wolke
Helens Mr. O’Keefe schreibt sehr schöne Briefe«, fügte Gwyneira hinzu. »Er muss sehr gebildet sein.«
Gerald lachte dröhnend. »Na, dann ist es sicher ein anderer. Der alte Howie bringt kaum seinen Namen ohne Fehler zu Papier! Aber es passt mir nicht, Gwyn, dass du dich auf dem Zwischendeck herumtreibst! Halte Abstand von den Leuten da, auch von dieser angeblichen Gouvernante. Die Geschichte ist mir suspekt, also sprich nicht mehr mit ihr!«
Gwyneira runzelte die Stirn. Den Rest des Abends schwieg sie verärgert. Später, in ihrer Kabine, steigerte sie sich regelrecht in ihren Zorn hinein.
Was bildete Warden sich ein? Das war ja ziemlich schnell gegangen mit der Entwicklung von »Mylady« zur »Lady Gwyneira« und jetzt zur kleinen »Gwyn«, die man ungeniert duzte und herumkommandierte! Den Teufel würde sie tun und den Kontakt mit Helen abbrechen! Die junge Frau war auf dem ganzen Schiff die Einzige, mit der sie offen und ohne Scheu plaudern konnte. Die beiden wurden trotz ihrer verschiedenen gesellschaftlichen Hintergründe und Interessen immer engere Freundinnen.
Außerdem hatte Gwyn Gefallen an den sechs kleinen Mädchen gefunden. Besonders die ernsthafte Dorothy hatte es ihr angetan, aber auch die verträumte Elizabeth, die kleine Rosie und die mitunter etwas zwielichtige, aber zweifellos kluge und lebenstüchtige Daphne. Am liebsten hätte sie gleich alle sechs mit nach Kiward Station genommen, und eigentlich hatte sie vorgehabt, mit Gerald zumindest über ein neues Dienstmädchen zu sprechen. Dafür sah es jetzt zwar nicht mehr allzu gut aus, aber die Reise war noch lang, und Warden würde sich zweifellos beruhigen. Viel mehr Kopfschmerzen machten Gwyneira die Dinge, die sie eben über Howard O’Keefe erfahren hatte. Gut, der Name war häufig, und zwei O’Keefes in einer Region waren sicher nicht ungewöhnlich. Aber zwei Howard O’Keefes?
Was hatte Gerald wohl gegen Helens künftigen Ehemann?
Gwyn hätte ihre Überlegungen gern mit Helen geteilt, hielt sich dann aber doch zurück. Was hätte es geholfen, Helens Seelenfrieden zu torpedieren und ihre Ängste zu schüren? Alle Spekulationen waren letztlich nichtig.
Inzwischen war es warm, fast schon heiß an Bord der Dublin . Die Sonne brannte oft gnadenlos vom Himmel. Die Auswanderer hatten dies zunächst genossen, aber jetzt, nach fast acht Wochen an Bord, schlug die Stimmung um. Während die Kälte der ersten Wochen die Menschen eher apathisch gemacht hatte, stimmten die Hitze und die stickige Luft in den Kabinen sie zunehmend gereizt.
Im Zwischendeck rieb man sich aneinander und ärgerte sich über die Fliege an der Wand. Es kam zu ersten Schlägereien unter den Männern, mitunter auch zwischen Reisenden und Besatzungsmitgliedern, wenn jemand sich bei der Essens-oder Wasserverteilung übervorteilt fühlte. Der Schiffsarzt setzte reichlich Gin ein, um die Blessuren zu reinigen und die Gemüter zu beruhigen. Dazu gab es in fast allen Familien Streit; die erzwungene Untätigkeit zerrte an den Nerven. Lediglich Helen hielt auf Ruhe und Ordnung in ihrer Kabine. Sie beschäftigte die Mädchen nach wie vor mit dem unendlichen Lernpensum rund um die Arbeiten in einem hochherrschaftlichen Haushalt. Gwyneira schwirrte oft selbst der Kopf, wenn sie zuhörte.
»Oh Gott, habe ich ein Glück, dem entkommen zu sein!«, dankte sie lachend ihrem Schicksal. »Zur Herrin eines solchen Haushalts hätte ich mich nicht geeignet. Ich hätte ständig die Hälfte vergessen. Und ich brächte es gar nicht über mich, die Hausmädchen täglich das Silber polieren zu lassen! Die Arbeit ist doch völlig überflüssig! Und warum muss man die Servietten so umständlich falten? Die werden doch sowieso jeden Tag gebraucht ...«
»Das ist eine Frage der Schönheit und Schicklichkeit!«, beschied Helen sie streng. »Außerdem wirst du sehr wohl auf das alles achten müssen. Nach dem, was ich so höre, erwartet dich auf Kiward Station ein Herrenhaus. Du hast selbst gesagt, Mr. Warden hätte die Architektur seines Heims an englischen Landhäusern orientiert und die Wohnräume von einem Londoner Innenarchitekten ausstaffieren lassen. Glaubst du, der hat auf Tafelsilber, Leuchter, Tabletts und Obstschalen verzichtet? Und Tischwäsche gehört doch wohl zu deiner Aussteuer!«
Gwyneira seufzte. »Ich hätte nach Texas heiraten sollen. Aber im Ernst, ich glaube ... hoffe ... Mr. Warden übertreibt. Er will zwar ein Gentleman sein, aber unter all dem vornehmen Gehabe steckt ein
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