Im Land Der Weissen Wolke
ziemlich rauer Kerl. Gestern hat er Mr. Brewster beim Black Jack geschlagen. Was heißt geschlagen – er hat ihn ausgenommen wie eine Weihnachtsgans! Und zum Schluss haben die anderen Herren ihm vorgeworfen, er würde betrügen. Daraufhin wollte er Lord Barrington fordern! Ich sage dir, es ging zu wie in einer Hafenkaschemme! Schließlich hat der Kapitän selbst um Mäßigung bitten lassen. In Wirklichkeit ist Kiward Station wahrscheinlich ein Blockhaus, und ich muss die Kühe selber melken.«
»Das könnte dir so passen!«, lachte Helen, die ihre Freundin inzwischen recht gut kennen gelernt hatte. »Aber mach dir nichts vor. Du bist und bleibst eine Lady, im Zweifelsfall sogar im Kuhstall – und das gilt auch für dich, Daphne! Nicht liederlich herumhängen und dabei auch noch die Beine spreizen, nur weil ich gerade mal nicht hinschaue. Stattdessen kannst du Miss Gwyneira frisieren. Der merkt man an, dass die Zofe fehlt. Im Ernst, Gwyn, dein Haar kräuselt sich, als hätte man es mit der Brennschere bearbeitet. Kämmst du es eigentlich nie?«
Unter Helens Fuchtel und mit ein paar zusätzlichen Hinweisen von Gwyneira zur neuesten Mode hatten sich sowohl Dorothy als auch Daphne zu recht geschickten Kammerzofen entwickelt. Beide waren höflich und hatten gelernt, wie man einer Lady beim Ankleiden half und ihr Haar frisierte. Manchmal hatte Helen allerdings Bedenken, Daphne allein in Gwyneiras Räume zu schicken, da sie dem Mädchen nicht traute. Sie hielt es durchaus für möglich, dass Daphne jede Gelegenheit zum Diebstahl nutzen würde. Doch Gwyneira beruhigte sie.
»Ich weiß nicht, ob sie ehrlich ist, aber sie ist bestimmt nicht dumm. Wenn sie hier stiehlt, kommt es heraus. Wer sonst sollte es gewesen sein, und wo sollte sie das Diebesgut verstecken? Solange sie hier auf dem Schiff ist, wird sie sich benehmen. Da habe ich keine Zweifel.«
Das dritte ältere Mädchen, Elizabeth, zeigte sich ebenfalls gutwillig und war untadelig ehrlich und liebenswert. Als übermäßig geschickt erwies sie sich allerdings nicht. Sie las und schrieb lieber, als mit den Händen zu arbeiten. Für Helen wurde sie dadurch zum Sorgenkind.
»Im Grunde sollte sie weiter zur Schule gehen und später vielleicht in ein Lehrerseminar«, bemerkte sie gegenüber Gwyneira. »Das würde ihr auch gefallen. Sie mag Kinder und hat viel Geduld. Aber wer sollte die Kosten übernehmen? Und gibt es in Neuseeland überhaupt ein entsprechendes Institut? Als Hausmädchen ist sie jedenfalls ein hoffnungsloser Fall. Wenn sie einen Boden schrubben soll, überschwemmt sie die Hälfte, und den Rest vergisst sie.«
»Vielleicht wäre sie ein gutes Kindermädchen«, überlegte die praktische Gwyn. »Ich werde wahrscheinlich bald eins brauchen ...«
Helen wurde bei dieser Bemerkung sofort rot. An das Kinderkriegen und vor allem an die Zeugung dachte sie im Zusammenhang mit ihrer bevorstehenden Ehe nur sehr ungern. Es war eine Sache, Howards geschliffenen Briefstil zu bewundern und sich in seiner Anbetung zu sonnen. Aber der Gedanke, sich von diesem wildfremden Mann berühren zu lassen ... Helen hatte nur unbestimmte Vorstellungen, was des Nachts zwischen Mann und Frau vorging, aber sie erwartete eher Schmerzen als Freuden. Und nun sprach Gwyneira ganz unbeschwert vom Kinderkriegen! Ob sie darüber reden wollte? Und ob sie darüber vielleicht mehr wusste als Helen? Helen fragte sich, wie sie das Thema anschneiden konnte, ohne die Grenzen der Schicklichkeit gleich mit dem ersten Wort peinlich zu verletzen. Und natürlich ging das nur, wenn keins der Mädchen in der Nähe war. Aufatmend stellte sie fest, dass Rosie unmittelbar neben ihnen mit Cleo spielte.
Gwyneira hätte die drängenden Fragen aber auch gar nicht beantworten können. Sie sprach zwar offen vom Kinderkriegen, verschwendete vorerst allerdings keinen Gedanken an die Nächte mit Lucas. Sie hatte keine Ahnung, was sie dabei erwartete – ihre Mutter hatte nur verschämt angedeutet, dass es nun mal zum Schicksal einer Frau gehörte, diese Dinge demütig zu erdulden. Dafür werde sie dann, so Gott wollte, mit einem Kind belohnt. Gwyn fragte sich zwar manchmal, ob sie so ein schreiendes, rotgesichtiges Baby wirklich als Glück betrachten würde, gab sich aber keinen Illusionen hin. Gerald Warden erwartete von ihr, ihm so schnell wie möglich einen Enkel zu gebären. Dem würde sie sich nicht verweigern – nicht einmal, wenn sie wüsste, wie man es anstellte.
Die Seereise zog sich hin. In der
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