Im Land Der Weissen Wolke
Er hatte sie schließlich »Miss Helen« genannt, da hätte sie auch gleich »Mr. Howard«, sagen können.
»Ich ... äh, nun, jetzt sind Sie da!«, bemerkte Howard etwas unvermittelt. »Das ... äh, kam überraschend.«
Helen fragte sich, ob das als Tadel gemeint war. Sie errötete.
»Ja. Die ... äh, Umstände. Aber ich ... ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Sie hielt Howard die Hand hin. Dieser ergriff sie und schüttelte sie mit festem Händedruck.
»Ich freue mich auch. Es tut mir nur Leid, dass Sie warten mussten.«
Ach, so hatte er das gemeint! Helen lächelte erleichtert.
»Das macht nichts, Mr. Howard. Man hat mir gesagt, es könnte etwas dauern, bis Sie von meiner Ankunft erfahren. Aber nun sind Sie ja da.«
»Nun bin ich da.«
Howard lächelte jetzt auch, was sein Gesicht weicher und einnehmender wirken ließ. Nach seinem geschliffenen Briefstil hätte Helen allerdings mit einer etwas geistreicheren Konversation gerechnet. Aber gut, vielleicht war er schüchtern. Helen übernahm die Gesprächsführung.
»Wo kommen Sie denn nun genau her, Mr. Howard? Ich hatte gedacht, Haldon läge näher bei Christchurch. Aber es ist wohl eine eigene Stadt. Und Ihre Farm befindet sich noch etwas außerhalb ...?«
»Haldon liegt am Lake Benmore«, erklärte Howard, als ob das Helen irgendetwas sagte. »Weiß nicht, ob man’s ›Stadt‹ nennen kann. Aber es gibt ein paar Läden. Die wichtigsten Sachen können Sie da kaufen. Was man so braucht, halt.«
»Und wie weit ist es bis dahin?«, erkundigte sich Helen und kam sich dumm vor. Da saß sie hier mit dem Mann, den sie wahrscheinlich heiraten würde, und tauschte sich über Entfernungen und Dorfläden aus.
»Knapp zwei Tage mit dem Gespann«, sagte Howard nach kurzer Überlegung. Helen hätte eine Angabe in Meilen bevorzugt, mochte aber nicht nachhaken. Stattdessen blieb sie still, was eine peinliche Pause zur Folge hatte. Dann räusperte sich Howard.
»Und ... hatten Sie eine gute Reise?«
Helen atmete auf. Endlich eine Frage, zu der sie etwas erzählen konnte. Sie schilderte ihre Überfahrt mit den Mädchen.
Howard nickte. »Hm. Eine weite Reise ...«
Helen hoffte, dass er etwas von seiner eigenen Auswanderung erzählte, doch er blieb still.
Zum Glück gesellte sich jetzt Vikar Chester zu ihnen. Während er Howard begrüßte, fand Helen endlich Zeit, zu Atem zu kommen und ihren künftigen Mann noch etwas näher in Augenschein zu nehmen. Die Kleidung des Farmers war einfach, aber sauber. Er trug Lederbreeches, die ihn sicher schon auf vielen Ritten begleitet hatten, und eine Wachsjacke über einem weißen Hemd. Eine prächtig geschmückte Gürtelschnalle aus Messing war das einzig Kostbare an seiner Ausstattung – außerdem trug er ein Silberkettchen um den Hals, an dem ein grüner Stein baumelte. Seine Haltung war eben starr und unsicher gewesen, jetzt aber lockerte er sich und trug sich gerade und selbstbewusst. Seine Bewegungen wurden geschmeidiger, wirkten fast anmutig.
»Nun erzählen Sie Miss Helen doch ein bisschen von Ihrer Farm!«, ermutigte ihn der Vikar. »Von den Tieren vielleicht, vom Haus ...«
O’Keefe zuckte die Schultern. »Ist ein schönes Haus, Miss. Sehr solide, hab’s selbst gebaut. Und die Tiere ... nun, wir haben ein Maultier, ein Pferd, eine Kuh und ein paar Hühner. Und natürlich Schafe. Um die tausend.«
»Das ... das sind aber viele«, bemerkte Helen und wünschte sich brennend, bei Gwyneiras endlosen Geschichten über Schafzucht genauer hingehört zu haben. Wie viele Schafe, hatte sie gesagt, besaß noch mal ihr Mr. Gerald?
»Das sind nicht viele, Miss, aber es werden ja mehr. Und Land ist ausreichend da, das wird schon. Wie ... äh, machen wir’s denn jetzt?«
Helen runzelte die Stirn. »Wie machen wir was, Mr. Howard?«, erkundigte sie sich und tastete nach einer Haarsträhne, die sich eben aus ihrer strengen Frisur gelöst hatte.
»Na ja ...« Howard spielte verlegen mit seiner zweiten Tasse Tee. »Das mit der Heirat ...«
Kiri verzog sich schließlich mit Gwyneiras Billigung in Richtung Küche, um Moana zu Hilfe zu eilen. Gwyn verbrachte die letzten Minuten vor der Teestunde mit einer gründlicheren Inspektion ihrer Räume. Alles war tadellos ausgestattet, bis hin zu liebevoll zusammengestellten Toilettenartikeln im Ankleidezimmer. Gwyneira bewunderte Kämme aus Elfenbein und dazu passende Bürsten. Die Seife roch nach Rosen und Thymian – sicher kein Erzeugnis des heimischen Maori-Stammes; die
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