Im Land Der Weissen Wolke
einem verlegenen Lachen griff sie in ihr tätowiertes Gesicht. »Ach so! Ist wie moku , ja? Nur jeden Tag wieder!«
Gwyneira nickte. Im Prinzip stimmte das. Ihre Wespentaille war genauso unnatürlich und schmerzhaft wie Kiris bleibender Gesichtsschmuck. Hier in Neuseeland gedachte Gwyn allerdings, die Sitten ziemlich zu lockern. Eins der Mädchen musste lernen, ihre Kleider auszulassen, dann brauchte sie sich beim Schnüren nicht mehr derart zu kasteien. Und wenn sie erst schwanger war ...
Kiri half ihr geschickt in das blaue Seidenkleid, tat sich dann aber schwer mit der Frisur. Gwyneiras Locken zu entwirren war eine schwierige Aufgabe, und sie aufzustecken erst recht. Kiri hatte das offensichtlich auch noch nie getan. Schließlich half Gwyn tatkräftig mit, und wenn das Ergebnis auch nicht den strengen Regeln der Frisierkunst entsprach und Helen zweifellos entsetzt gewesen wäre, fand Gwyn sich doch ausgesprochen reizvoll. Den Großteil ihrer rotgoldenen Haarpracht hatten sie schließlich gebändigt; die paar Locken, die sich trotzdem selbstständig machten und ihr Gesicht umspielten, ließen ihre Züge weicher und mädchenhafter wirken. Gwyns Haut glänzte nach dem Ritt in der Sonne, ihre Augen blitzten vor Erwartung.
»Ist Mr. Lucas inzwischen eingetroffen?«, fragte sie Kiri.
Das Mädchen zuckte die Schultern. Woher sollte sie das wissen? Schließlich war sie die ganze Zeit mit Gwyneira hier gewesen.
»Wie ist Mr. Lucas denn so, Kiri?« Gwyn wusste, dass ihre Mutter sie für diese Frage scharf gerügt hätte: Man forderte das Personal nicht auf, über seine Herrschaft zu tratschen. Doch Gwyneira konnte sich nicht beherrschen.
Kiri zog gleichzeitig Schultern und Augenbrauen hoch, was lustig aussah.
»Mr. Lucas? Weiß nicht. Ist pakeha . Für mich alle gleich.« Das Maori-Mädchen hatte sich die Frage nach besonderen Eigenschaften ihrer Arbeitgeber offensichtlich noch nie gestellt. Dann dachte sie aber doch noch einmal nach, als sie Gwyneiras enttäuschten Gesichtsausdruck bemerkte. »Mr. Lucas ... ist nett. Nie schreien, nie ärgerlich. Nett. Nur bisschen dünn.«
2
Helen wusste kaum, wie ihr geschah, aber sie konnte die erste Begegnung mit Howard O’Keefe jetzt auf keinen Fall weiter hinauszögern. Aufgeregt glättete sie ihr Kleid und fuhr über ihr Haar. Sollte sie das Hütchen jetzt abnehmen oder aufbehalten? Immerhin befand sich ein Spiegel in Mrs. Baldwins Empfangszimmer, und Helen warf unsicher einen Blick hinein, noch bevor sie den Mann auf dem Sofa musterte. Der drehte ihr zurzeit sowieso den Rücken zu, Mrs. Baldwins Sitzgarnitur war dem Kamin zugewandt. So hatte Helen wenigstens Zeit zu einem kurzen, verstohlenen Blick auf seine Gestalt, bevor sie sich bemerkbar machte. Howard O’Keefe wirkte massig und angespannt. Deutlich gehemmt balancierte er ein dünnwandiges Tässchen aus Mrs. Baldwins Teeservice in seinen großen, schwieligen Händen.
Helen wollte sich schon räuspern, um die Pfarrersfrau und ihren Besucher auf sich aufmerksam zu machen. Aber dann wurde Mrs. Baldwin ihrer ansichtig. Die Pastorin lächelte ausdruckslos wie immer, gab sich aber herzlich.
»Oh, da ist sie ja, Mr. O’Keefe! Sehen Sie, ich wusste, sie würde nicht zu lange ausbleiben! Kommen Sie herein, Miss Davenport! Ich möchte Ihnen jemanden vorstellen!« Mrs. Baldwins Stimme klang beinahe neckisch.
Helen trat näher. Der Mann erhob sich so abrupt vom Sofa, dass er dabei fast das Teeservice vom Tisch fegte.
»Miss ... äh, Helen?«
Helen musste zu ihrem zukünftigen Mann aufsehen. Howard O’Keefe war groß und schwer – nicht dick, aber von kräftigem Knochenbau. Auch sein Gesichtsschnitt war eher derb, allerdings nicht unsympathisch. Die gebräunte, ledrige Haut sprach von langjähriger, harter Arbeit im Freien. Sie war von tiefen Falten durchzogen, die auf ein reiches Mienenspiel hindeuteten, auch wenn sich jetzt lediglich ein Ausdruck des Erstaunens oder sogar der Bewunderung in seinen Zügen abzeichnete. In seinen stahlblauen Augen stand Anerkennung – Helen schien ihm zu gefallen. Ihr selbst fiel vor allem sein Haar auf; es war dunkel, voll und sehr ordentlich geschnitten. Vermutlich hatte er vor der ersten Begegnung mit seiner Zukünftigen noch einen Besuch beim Barbier eingeschoben. Allerdings lichtete das Haar sich bereits an den Schläfen. Howard war deutlich älter, als Helen ihn sich vorgestellt hatte.
»Mr.... Mr. O’Keefe ...«, sagte sie tonlos und hätte sich gleich dafür ohrfeigen können.
Weitere Kostenlose Bücher