Im Land Der Weissen Wolke
Kaffee, und einen Schluck Whiskey soll ich wohl auch noch finden.«
Helen blickte verwirrt. Sie hatte noch nie im Leben Whiskey getrunken, doch Margaret schien nichts dabei zu finden. Sie schenkte Helen jetzt einen Emaillebecher voll gallebitteren Kaffees ein, der wohl schon endlos lange nah am Feuer warm gehalten wurde. Helen wagte nicht, nach Zucker oder gar Milch zu fragen, aber Margaret stellte beides bereitwillig vor sie auf den Tisch. »Nehmen Sie viel Zucker, das weckt die Lebensgeister. Und einen Schuss Whiskey!«
Tatsächlich tat der Schnaps dem Geschmack des Kaffees gut. Mit Zucker und Milch war die Mischung durchaus trinkbar. Zumal Alkohol ja auch Sorgen vertreiben und angespannte Muskeln lockern sollte. So gesehen konnte Helen ihn als Medizin betrachten. Sie sagte nicht Nein, als Margaret zum zweiten Mal nachfüllte.
Als die Hühnersuppe fertig war, sah Helen alles wie durch einen leichten Nebel. Ihr war endlich wieder warm, und die vom Feuer erhellte Stube wirkte einladend. Wenn sie das »Unaussprechliche« hier zum ersten Mal erleben sollte – warum nicht?
Die Suppe trug ebenfalls dazu bei, ihre Stimmung zu heben. Sie war ausgezeichnet, machte allerdings müde. Helen wäre am liebsten gleich zu Bett gegangen, obwohl Margaret es offensichtlich genoss, mit ihr zu plaudern.
Doch auch Howard schien den Abend heute bald beenden zu wollen. Er hatte etliche Gläser mit Wilbur geleert und lachte dröhnend, als der jetzt ein Kartenspiel vorschlug.
»Nee, alter Freund, heut nich’ mehr. Heut hab ich noch was anderes vor, was ganz eng mit der entzückenden Frau zusammenhängt, die mir da aus der alten Heimat zugeflogen ist!«
Er verbeugte sich galant vor Helen, die sofort errötete.
»Also, wohin können wir uns zurückziehen? Dies ist nämlich ... sozusagen ... unsere Hochzeitsnacht!«
»Oh, da müssen wir ja noch Reis werfen!«, kreischte Margaret. »Ich wusste gar nicht, dass die Verbindung so frisch ist! Leider kann ich euch kein richtiges Bett anbieten. Aber im Stall ist genug frisches Heu, darauf habt ihr’s warm und weich. Wartet, ich geb euch noch Laken und Decken mit, eure eigenen sind sicher klamm von der Fahrt durch den Regen. Und eine Laterne, damit ihr etwas seht ... obwohl, beim ersten Mal macht man’s ja gern im Dunkeln.«
Sie kicherte.
Helen war entsetzt. Sie sollte ihre Hochzeitsnacht in einem Stall verbringen?
Immerhin muhte die Kuh einladend, als Helen und Howard – sie den Arm voller Decken, er mit der Stalllaterne – den Schuppen betraten. Außerdem war es relativ warm. Mit Howards Gespann beherbergte der Stall die Kuh und drei Pferde. Die Körper der Tiere heizten den Raum etwas auf, erfüllten ihn aber auch mit durchdringenden Gerüchen. Helen breitete ihre Decken auf dem Heu aus. War es wirklich erst drei Monate her, dass sie sich allein schon durch die entfernte Nachbarschaft eines Schafspferchs belästigt gefühlt hatte? Gwyneira würde diese Geschichte sicher erheiternd finden. Helen dagegen ... wenn sie ehrlich war, hatte sie nur noch Angst.
»Wo ... kann ich mich hier denn ausziehen?«, fragte sie scheu. Sie konnte sich ja unmöglich mitten im Stall vor Howard entkleiden.
Howard runzelte die Stirn. »Bist du närrisch, Frau? Ich will ja alles tun, dich warm zu halten, aber dies ist kein Ort für Spitzenhemdchen! In der Nacht kühlt’s ab, und obendrein sind bestimmt Flöhe im Heu. Lass dein Kleid lieber an.«
»Aber ... aber wenn wir ...« Helen wurde glühend rot.
Howard lachte vergnügt. »Das lass mal meine Sorge sein!« Gelassen öffnete er seine Gürtelschnalle. »Und nun ab unter die Decke, damit du nicht kalt wirst. Soll ich dir helfen, das Korsett zu lockern?«
Howard machte das alles offensichtlich nicht zum ersten Mal. Und er schien auch nicht unsicher zu sein, im Gegenteil, sein Gesicht drückte Vorfreude aus. Dennoch lehnte Helen seine Hilfe schamhaft ab. Die Schnüre zu lösen schaffte sie schon allein. Aber dazu musste sie natürlich auch ihr Kleid aufknöpfen, was nicht einfach war, da der Verschluss im Rücken saß. Sie fuhr zusammen, als sie Howards Finger spürte. Geschickt löste er einen Knopf nach dem anderen.
»So besser?«, fragte er mit einer Art Lächeln.
Helen nickte. Sie wünschte sich nur noch, dass diese Nacht bald vorbei sein möge. Dann aber ließ sie sich mit verzweifelter Entschlossenheit auf dem Heulager nieder. Sie wollte es hinter sich bringen, egal was sie erwartete. Still legte sie sich auf den Rücken und schloss die
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