Im Land Der Weissen Wolke
überstürzten Eheschließung abgefunden und war fest entschlossen, das Beste daraus zu machen. In den letzten beiden Tagen konnte sie obendrein Howard genau beobachten, da er in der Stadt blieb und zu praktisch jeder Mahlzeit bei den Baldwins zu Gast war. Sein Aufbrausen, als die Wardens erwähnt worden waren, hatte Helen zwar zunächst befremdet, sogar geängstigt, doch wenn nicht gerade dieses Thema zur Sprache kam, schien er ein ausgeglichener Mensch zu sein. Er nutzte den Stadtaufenthalt, um recht großzügig für die Farm einzukaufen, also schien es ihm finanziell nicht allzu schlecht zu gehen. In seinem Sonntagsanzug aus grauem Tweed, den er zur Trauung angelegt hatte, wirkte er sehr gediegen, obwohl das Kleidungsstück natürlich nicht zur Jahreszeit passte und er darin gehörig schwitzte.
Helen selbst trug ein frühlingsgrünes Sommerkleid, das sie sich schon in London in Gedanken an ihre Hochzeit hatte anmessen lassen. Natürlich wäre ein weißes Spitzenkleid schöner gewesen, aber das hatte sie als unnötige Geldverschwendung abgetan. Schließlich konnte man einen solchen Traum aus Seide anschließend nie wieder tragen. Helens leuchtendes Haar fiel ihr heute offen über den Rücken – eine Frisur, die Mrs. Baldwin misstrauisch beäugte, auf der Mrs. McLaren und Mrs. Godewind allerdings bestanden hatten. Sie hatten die Haarpracht nur mittels eines Stirnbandes aus Helens Gesicht verbannt und mit Blumen geschmückt. Helen fand selbst, sie habe noch nie so schön ausgesehen, und sogar der wortkarge Howard verstieg sich zu einem weiteren Kompliment: »Das ist ... äh, sehr hübsch, Helen.«
Helen spielte mit seinen Briefen, die sie immer noch bei sich trug. Wann würde ihr Gatte wohl endlich so aus sich herausgehen, dass er diese schönen Worte von Angesicht zu Angesicht wiederholte?
Die Trauung selbst war sehr feierlich. Reverend Baldwin erwies sich als großartiger Redner, der seine Gemeinde durchaus zu fesseln verstand. Als er von Liebe »in guten und in bösen Tagen«, sprach, schluchzte auch die letzte Frau in der Kirche, und die Männer schnäuzten sich. Ein Wermutstropfen für Helen war allerdings die Wahl ihrer Trauzeugin. Sie hätte sich Mrs. Godewind gewünscht, doch Mrs. Baldwin drängte sich geradezu auf, und es wäre sehr unhöflich gewesen, sie abzulehnen. Immerhin war ihr der Trauzeuge, Vikar Chester, äußerst sympathisch.
Howard sorgte für eine Überraschung, indem er die Trauformel frei und mit fester Stimme sprach und Helen dabei fast liebevoll ansah. Helen selbst schaffte es nicht so perfekt – sie musste dabei weinen.
Aber dann erklang die Orgel, die Gemeinde sang, und Helen fühlte sich überglücklich, als sie am Arm ihres Gatten aus der Kirche schritt. Draußen warteten bereits die Gratulanten.
Helen küsste Elizabeth und ließ sich von der schluchzenden Mrs. McLaren umarmen. Zu ihrer Überraschung waren auch Mrs. Beasley und die ganze Familie O’Hara erschienen, obwohl Letztere gar nicht der anglikanischen Kirche angehörte. Helen drückte Hände und lachte und weinte gleichzeitig, bis schließlich nur noch eine junge Frau übrig blieb, die Helen allerdings noch nie gesehen hatte. Sie blickte sich zu Howard um – vielleicht war die Frau ja für ihn gekommen –, doch Howard unterhielt sich bereits mit dem Pfarrer. Die letzte Gratulantin schien er übersehen zu haben.
Helen lächelte ihr zu. »Ich weiß, es ist unverzeihlich, aber dürfte ich Sie fragen, woher ich Sie kenne? In der letzten Zeit ist so viel Neues auf mich eingeströmt, da ...«
Die Frau nickte ihr freundlich zu. Sie war klein und zierlich, hatte ein etwas kindliches Allerweltsgesicht und dünnes blondes Haar, das sie ordentlich unter einer Haube aufgesteckt hatte. Ihre Kleidung war die schlichte Tracht einer Christchurcher Hausfrau zur Sonntagsmesse. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Sie kennen mich nicht«, meinte sie. »Ich wollte mich auch nur einmal vorstellen, weil ... wir doch einiges gemeinsam haben. Mein Name ist Christine Lorimer. Ich war die Erste.«
Helen blickte verwundert. »Die erste was? Kommen Sie, wir gehen in den Schatten. Mrs. Baldwin hat im Haus Erfrischungen vorbereitet.«
»Ich will mich nicht aufdrängen«, sagte Mrs. Lorimer rasch. »Aber ich bin sozusagen Ihre Vorreiterin. Die Erste, die aus England kam, um hier verheiratet zu werden.«
»Das ist ja interessant«, wunderte sich Helen. »Ich dachte, ich sei die Erste. Es hieß, die anderen Frauen hätten noch keine
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