Im Land des Falkengottes. Amenophis
von hundert Ellen standen rechts und links zwischen hohen Dattelpalmen große steinerne, geflügelte Stiere mit menschlichem Antlitz. Zwei gewaltige viereckige Tortürme, die ebenso wie die gesamte Stadtmauer im Abstand von nur wenigen Ellen von Zinnen bekrönt waren, beherrschten den Eingang zur Stadt. Etwas weiter entfernt ragten zwei andere Tortürme, durch die von Norden her der Euphrat in die Stadt führte, hoch in den Himmel. Auf den Türmen und Mauern standen schwer bewaffnete Soldaten mit langen, schwarzen Bärten und spitzen Lederhelmen auf den Köpfen.
Auch am Stadttor selbst waren Soldaten postiert, die jeden Besucher kontrollierten und nach dessen Begehr fragten. Wir befanden uns noch in reichlicher Entfernung vor dem Tor, als uns etwa hundert Soldaten entgegenschritten. Ein Offizier auf einem schweren Streitwagen führte sie an. Als er die Spitze unseres Zuges erreicht hatte, sprang er von seinem Wagen, lief auf Fürst Imresch zu und warf sich vor ihm nieder. Während man bei uns in ganzer Länge ausgestreckt auf dem Boden lag, knieten sich die Babylonier hin, streckten die Arme nach vorne und beugten so den Oberkörper bis zur Erde. Da ich mich im Laufe unserer langen Reise gezwungen hatte, mit Fürst Imresch nur akkadisch zu sprechen, verstand ich den Offizier gut. Ich war mit meinen Sprachkenntnissen zufrieden.
«Edler Fürst Imresch», begann der Offizier seine Rede. «Unser göttlicher und gnädiger Herrscher lässt Euch ausrichten, dass er Euch und Eure Begleiter morgen bei Sonnenuntergang im Palast erwartet.»
Dann wandte sich der Offizier mir zu.
«Euch, edler Eje, soll ich schon jetzt im Namen unseres göttlichen und gnädigen Herrschers Kurigalzu als Freund willkommen heißen.»
Während Fürst Imresch nur zufrieden nickte, bedankte ich mich bei dem Soldaten und bat ihn, seinem Herrscher auszurichten, dass ich mit großer Freude nach Babylon gekommen sei. Dann machte der bärtige Riese kehrt, seine Soldaten gingen auseinander, bildeten ein langes Spalier und nahmen uns so in ihre Mitte. Jetzt setzte sich der Tross in Bewegung und zog durch das weit geöffnete Tor in die Stadt ein.
Wir Ägypter hatten eigens für diesen Tag unsere festliche Kleidung angelegt, und die Menschen, die unseren Weg säumten, staunten über unser für sie so ungewöhnliches, fremdes Aussehen. Kinder liefen neben uns her, winkten und fragten, woher wir kämen. Überall war man uns freundlich gesonnen. Man gab uns das Gefühl, willkommene Gäste zu sein.
Die Stadt lag an drei Flussläufen. Der Euphrat, der die Stadt von Norden nach Süden durchströmt, teilte sie in die östliche Altstadt und in die westliche Neustadt. Das östliche Ufer des Euphrats, an dem sich der Stadtpalast und die großen Tempel, insbesondere der Haupttempel des Gottes Marduk befanden, hieß Arachtu-Ufer, während das gegenüberliegende Euphrat-Ufer genannt wurde.
Der zweite Flusslauf war der Libilchegalla-Kanal, was soviel bedeutet wie der «Überflussbringende Kanal». Er wird auch als Königsgraben bezeichnet, weil er den Stadtpalast im Süden gegen die Stadt absperrt. Der dritte Flusslauf endlich hieß Neustadt-Kanal, er durchquerte diesen Stadtteil von Westen nach Osten. Man nannte ihn auch den Chuduk-Kanal.
Auf breiten, prächtigen Straßen erreichten wir einen stattlichen Palast, der offen in einem ausgedehnten Garten lag. Dies war das Zuhause von Fürst Imresch. Mein Herz begannnun heftiger zu schlagen, denn endlich war ich am Ziel meiner langen Reise angelangt. Wir befuhren zwischen Palmen, Granatapfelbäumen, Sykomoren und anderen Bäumen, die mir fremd waren, einen breiten Kiesweg, der genau zum Palast führte. Ein schwerer, süßlicher Duft lag über dem Garten, die Luft war feucht und heiß. Als wir den Vorplatz des Palastes erreicht hatten, warteten einige Männer mit schwarzen Vollbärten in langen, quer gefalteten Gewändern, wie man sie hier überall trug. Wie schon zuvor der Offizier, so knieten auch diese Männer nieder und verbeugten sich tief vor ihrem Herrn. Es waren die wichtigsten Bediensteten von Fürst Imresch, sie wurden mir als der Verwalter, der Stallmeister und der Schreiber vorgestellt.
Im Inneren des Hauses gelangten wir in einen weiträumigen Eingangssaal. Acht schwere Säulen trugen ein in der Mitte geöffnetes Dach. Zwischen den kahlen Wänden und den Säulen verlief ringsum wie ein Kanal ein Wasserbecken, das Innere des Raumes war von allen vier Seiten über steinerne Stege zu erreichen. An den acht
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