Im Land des Falkengottes. Amenophis
doch mein Hals war wie zugeschnürt.
Zuerst wusste ich gar nicht, ob ich auf meinen Freund unendlich stolz oder ob ich traurig sein sollte. Ich setzte mich unter meinen Lieblingsbaum in der hintersten Ecke unseres Gartens, eine Sykomore, und begann erst einmal fürchterlich zu weinen. Ich weiß nicht mehr, ob es die Angst war, einen Freund zu verlieren, erschlagen von einem Wilden, gefressen von einem Krokodil oder im Fieber elend sterbend – oder einfach nur die Enttäuschung darüber, Wochen oder Monate ohne ihn auskommen zu müssen. Dann schlug die Trauer in Wut um. Doch dies durfte auch nicht sein, schließlich kam der Befehl vom Guten Gott selbst, und ihm gegenüber Wut zu empfinden, war völlig ausgeschlossen.
Nach einer Weile lief ich ins Haus, berichtete alles meinem Vater und zeigte ihm den Prunkdolch. Er zeigte sich von all dem wenig beeindruckt und versuchte mir zu erklären, dass es für einen fünfzehnjährigen Thronerben völlig normal sei, an einem derartigen Feldzug teilzunehmen. Schließlich sei es nicht Aufgabe der Prinzen, am Kampf teilzunehmen, vielmehr würden sie das Geschehen aus sicherer Entfernung beobachten. Im Übrigen sollte ich mir ja nicht einfallen lassen, den Dolch mit in den Unterricht zu nehmen, um damit zu prahlen oder sonstigen Unfug anzurichten.
Meine Schwester Teje schien dies alles wesentlich mehr zu beeindrucken, und ihr nicht enden wollendes Schluchzen ließ in mir den Verdacht keimen, sie könnte in den Prinzen verliebt sein oder so ähnlich. Jetzt erinnerte ich mich auch daran, dass ihre Blicke oft unentwegt auf den Prinzen gerichtet waren und wie sie errötete, wenn er sie ansprach.
Im Unterricht nahm ich jetzt die Führungsrolle unter den Schülern ein, denn unstrittig stand ich Prinz Amenophis von allen am nächsten. Umgekehrt zeigte ich auch für die neuen Mitschüler Verantwortungsbewusstsein und war überhaupt sehr eifrig. Die Lebenserfahrung, die Ameni mir durch «seinen» Feldzug voraushaben würde, konnte ich nur durch uneinholbares Wissen wettmachen, durch Kenntnisse, über die außer mir niemand verfügen würde. Für mich nannte ich das mein Nischenwissen.
Ein jeder meiner Freunde konnte jetzt in den Tagen des Krieges schlaue Reden halten über die Armee, ihre Bewaffnung, Pferde und Streitwagen. Aber der Krieg würde bald vorbei sein, und dann würde das alles niemanden mehr interessieren. Dann war der Fachmann für Verwaltung gefragt, für das Vermessungs- und Bauwesen.
Nach einem erfolgreichen Krieg gab es viel Gold, das zum Ruhme der Götter verbaut wurde, es gab Sklaven, die verteilt werden mussten, und heimkehrende Soldaten, die mit Land versorgt werden wollten. Dazu bedurfte es eingehender Kenntnisse, über die nicht viele verfügen konnten.
So hielt ich es für erforderlich, die genaue Fläche errechnen zu können, die nach der jährlichen Überschwemmung für die Landwirtschaft zur Verfügung stand. Rechtzeitige Meldungen aus dem Heerlager waren nötig, um genau zu erfahren, wo es Tote oder Krüppel in den eigenen Reihen gab, sodass anschließend die Familien mit Sklaven als Arbeitsersatz versorgt werden konnten. Es waren nicht nur Vorratslisten über Baumaterialanzulegen, diese Pläne hatten die Herrscher ja schon; nein, man musste bereits die Transporte von den Steinbrüchen organisieren, ebenso wie den Bau der Arbeitersiedlungen und deren Versorgung. Wer in der Lage war, dies im Einzelnen so vorzubereiten, dass alle Pläne nur noch auf den Tisch gelegt werden mussten, der war unentbehrlich, der hatte das, was ich als Nischenwissen bezeichnete.
Ohne auch nur einen Tag zu zögern, ging ich daran, mein Vorhaben zu verwirklichen und mir dieses Wissen zu verschaffen.
Möglichst unauffällig befragte ich Beamte des Hofes, freilich nicht immer den obersten Vorgesetzten, denn dann hätte ich mich vielleicht verdächtig gemacht oder wäre gar nicht ernst genommen worden. Nein, ich begann unten, begann bei dem Beamten, der an Ort und Stelle mit den Problemen konfrontiert war. Da war der einfache Steuereintreiber, der mich schnell sowohl mit den Schlichen der Abgabepflichtigen als auch mit denen seiner Vorgesetzten vertraut machte, oft nicht ahnend, dass er dabei auch seine eigenen Machenschaften offenbarte.
Da war der Landvermesser, der mit Stöcken und Schnüren durch die noch überfluteten Felder lief, den Bauern neues Land zuteilte und sich immer wieder anhören musste, dass er gerade das schlechteste Stück Erde Unterägyptens unter seinen Füßen
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