Im Land des Falkengottes. Amenophis
erklärte mir Teil für Teil seines Tempels und beschrieb sogar sehr genau die Innenausstattung wie Bodenbeläge, Wand- und Deckengemälde.
«Wo nehmt Ihr nur die Zeit her, Prinz Amenophis?», wollte ich wissen.
«Fast jeden Abend, bevor ich schlafen ging, saß ich noch eine Stunde an meinem Arbeitstisch, bis das Modell fertig war. Aber etwas anderes, Eje: Du weißt, wie mich meine Familie nennt. Ich möchte, dass auch du mich mit meinem KurznamenAmeni ansprichst. Gute Freunde sollten das so halten, oder?»
«Ja gerne, das ist natürlich eine große Ehre für mich, aber …»
«Was aber? Sei nicht so aufgeregt. Ich weiß schon, was ich mache», entgegnete er lachend und klopfte mir auf die Schulter, als ein kahl rasierter, rundlicher Priester das Arbeitszimmer des Prinzen betrat und sich grüßend verneigte.
Mit den Worten «Prinz Amenophis, ich möchte euch daran erinnern, dass Ihr heute noch einige Verpflichtungen zu erfüllen habt», gab er uns unmissverständlich zu verstehen, dass ich nun den Heimweg antreten musste.
«Ja, Eje. Nebnefer hat Recht, wir müssen uns leider für heute trennen. Aber morgen zum Unterricht sehen wir uns ja schon wieder.»
Der Prinz begleitete mich bis zum Vorzimmer seines Wohnbereiches, wo mich ein Hauptmann der Leibgarde erwartete, um mich nach Hause zu begleiten.
In unserem Haus wurde ich natürlich mit größter Neugier erwartet und musste das Erlebte genauestens berichten. Mein Vater bestätigte mir zu meiner Beruhigung, dass ich mich beim Anblick des Guten Gottes völlig richtig verhalten hatte, und es war ihm deutlich anzumerken, wie stolz er auf mich war. Meine Schwester Teje wollte jede Kleinigkeit von mir wissen, und es bereitete mir nicht geringe Freude und Genugtuung, sie wie ein kleines Kind an meinen Lippen hängen zu sehen. Am meisten kostete ich aus, dass ich von nun an den Thronfolger mit Ameni ansprechen durfte, was meine Schwester eigentlich um den Verstand bringen musste.
Das an diesem Tag Erlebte zeigte auch bei mir große Wirkung: Ich fiel in mein Bett und schlief noch im selben Moment ein.
Die nächsten Tage und Wochen waren von ungetrübterFreude geprägt. Natürlich konnten wir nicht jeden Tag die freie Zeit gemeinsam verbringen, da sowohl Prinz Amenophis als auch ich eigene Verpflichtungen hatten, aber wo es nur ging, steckten wir zusammen. Unsere schulischen Leistungen litten darunter keineswegs, da wir uns eher gegenseitig anspornten, als dass wir nachlässig geworden wären. Uns beiden war bewusst, dass man unserem Treiben andernfalls ein jähes Ende bereitet hätte.
Mit der Zeit beobachteten wir in der Umgebung des Palastes eine gewisse, schwer zu erklärende Unruhe. Auch mein Vater kam hin und wieder sehr spät nach Hause und machte einen besorgten Eindruck. Schließlich sickerte auch bis zu uns Kindern durch, dass es im Süden, in Nubien, Unruhen gab und dass der Gute Gott einen Feldzug dorthin plante. Wenige Tage später wurde es zur Gewissheit: Pharao würde nach Süden bis Waset ziehen und von dort auf dem großen Fluss bis Edfu fahren, um dann weiter in östlicher Richtung durch das Wadi Mia bis ins Wüstengebirge zu marschieren und die Nubier aufzuhalten und zu bestrafen, die unsere Goldtransporte behinderten.
Während ich in unserem Garten über diese Neuigkeiten nachdachte – es herrschte gerade die größte Mittagshitze –, hörte ich lautes Pferdegetrappel näher kommen. Ein goldbelegter Streitwagen hielt vor unserem Haus, und es erschienen ein Hauptmann der Leibgarde und hinter ihm Prinz Amenophis. Sein Blick war sehr ernst und würdevoll, wie man das bei einem Jungen von fünfzehn Jahren nur selten sieht.
«Ich will mich von dir verabschieden, Eje. Der Gute Gott hat beschlossen, mich und meinen Bruder Amenemhet mitzunehmen. Es kann eine ganze Weile dauern, bis wir uns wieder sehen.»
Dabei griff er in seinen Gürtel, zog einen kleinen Prunkdolch hervor und hielt ihn mir hin.
«Damit du selbst auf dich aufpassen kannst, wenn ich nicht da bin», lachte er mich an.
Ehe ich irgendetwas sagen konnte, umgriff er mit beiden Händen meine Unterarme, ließ mich nach einem kräftigen Druck wieder los, drehte sich um und ging. Beim Verlassen des Gartens machte er noch einmal kurz kehrt und rief mir zu: «Um, Chons ist groß› wirst du dich jetzt nicht kümmern können, er wird diesmal mein Begleiter sein.» Und schon donnerte der Streitwagen davon. Ich winkte ihm nach und wollte ihm hinterherrufen, er solle tapfer sein,
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