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Im Land des Falkengottes. Amenophis

Im Land des Falkengottes. Amenophis

Titel: Im Land des Falkengottes. Amenophis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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könnten jeden Tag andere erleben, wenn wir wollten.»
    «Wir werden sie erleben, Eje, wir werden!»
    Ameni geriet ins Schwärmen.
    «Warte nur ab, bis ich gekrönt und endgültig Pharao bin! Mein Großvater und mein Vater haben ein Reich geschaffen, so groß und so mächtig, wie es noch keines auf dieser Erde gab. Und das, was du vor einigen Tagen gesehen hast, ist nur ein verschwindend geringer Teil des Reichtums, über den ich verfügen werde. Glaubst du etwa, ich mache mir keine Gedanken, wie es weitergehen wird?»
    Während Ameni weitererzählte von seinen Plänen, den Tempeln und Palästen, die er bauen wollte, dachte ich erschrocken darüber nach, wie sehr er mich missverstanden hatte. Ich meinte mit den Schauspielen nicht Prunkbauten und rauschende Feste, ich meinte das, was ich kurz zuvor erlebt hatte, als ich alleine am Fenster gestanden hatte.
    «Hörst du mir überhaupt zu, Eje?»
    «Ja, sicher, dein Tempel der Millionen Jahre, den du errichten wirst – wie lang wird er sein?»
    «Einige hundert Ellen müssen es schon werden, damit er Eindruck macht. Du wirst sehen, Eje, es wird eine herrliche Zeit, die wir erleben werden. Aber erst müssen wir noch viel lernen, und du wirst mein Ohr sein. Du wirst mir alles, aber auch alles berichten, was immer du irgendwo erlebst und was dir wichtig erscheint. Denn so viel weiß ich auch: Eine korrekte, unbestechliche Verwaltung ist das Wichtigste, was ein Land braucht. Mit deiner Hilfe werden wir es schaffen, dass kein Getreidekorn mehr verloren geht, kein Fleck Ackerland ungenutzt bleibt und kein Tropfen Wein verschüttet wird. Schicke heute einen jungen Mann nach Babylon und lasse ihn in zehn Jahren zurückkehren. Glaube mir, er wird nicht wissen, wo er ist, er wird Men-nefer und Waset, er wird Ägypten nicht mehr wiedererkennen!»
    Ich musste noch oft an diesen Abend denken. Heute weiß ich, wie ernst es Ameni damals gemeint hat. Und er behielt Recht. Nichts ist so geblieben, wie es einmal war, aber es war ein langer Weg.
     
    Am nächsten Tag erfüllten wir alle die traurige Pflicht und brachten auch die Geschwister Amenis über den Fluss zum Reinigungszelt. Wieder waren die Straßen und Plätze voll von Menschen, die weinten und schrien, sich die Haare rauften oder das Gesicht zum Zeichen der Trauer mit Staub einrieben. Und wieder war es Amenis Aufgabe, für Amenemhet und Amenemipet Grabbeigaben auszusuchen.
    Die Wochen vergingen, und der Tag kam näher, da die Toten die letzte irdische Reise antreten sollten. Ihre Leiber wurden in Amenis Anwesenheit sorgsam vorbereitet. Gesalbt, mit Amuletten und Schmuck versehen, eingehüllt in feinste Leinenbinden, wurden sie schließlich im Thronsaal aufgebahrt.
    Königin Iaret legte Osiris Thutmosis und Ameni seinen Geschwistern je einen geflochtenen Blumenkranz um den Kopf,die Priester gossen ein letztes Mal kostbare Salböle über die Körper, ehe ihre verhüllten Köpfe für immer unter den goldenen Gesichtsmasken verschwanden. Nach langen Gebeten trugen Priester die Särge und die Alabasterkrüge mit den Eingeweiden der Toten in den Vorhof und stellten sie dort in die vergoldeten Kanopenschreine, an deren Unterseite Schlittenkufen angebracht waren. Königliche Handwerker verschlossen die Schreine, zuletzt brachte Amenophis selbst das Siegel von Pharao Thutmosis an.
    Im Hof standen zwanzig Schlitten mit geschlossenen Schreinen und Truhen mit Grabbeigaben aller Art. Vor jeden Schlitten waren zwei mächtige Stiere gespannt. Die übrigen Grabbeigaben wurden in geschlossenen Behältnissen auf Bahren getragen.
    Im zweiten Vorhof warteten mehr als tausend Soldaten der Leibgarde darauf, den Zug zum Hafen zu begleiten. Als alles marschbereit war, bestieg Amenophis die von zwölf Nubiern getragene königliche Sänfte. Er trug den blauen Chepresch-Helm, Krummstab und Geißel. Auf ein Handzeichen Ptahmoses hin erschallten auf den Mauern des Palastes Posaunen, die Palasttore öffneten sich, und, flankiert von Viererreihen von Soldaten, bewegte sich der Zug langsam durch die Stadt zum Hafen.
    Vor den Schlitten liefen Sklaven mit Wasserschläuchen und befeuchteten den Sand, damit die Kufen leichter darüber gleiten konnten.
    Alle Bewohner von Men-nefer schienen auf den Straßen zu sein. Noch nie hatte ich vorher eine so große Menschenmenge gesehen. Unzählige Männer mit bärtigen Gesichtern, Frauen und Kinder, die schrien und brüllten, als sei ihr eigenes Ende gekommen, schlugen sich mit Fäusten auf die Köpfe oder zerkratzten sich

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