Im Land des Falkengottes. Amenophis
verabschiedete sich Ägypten überall auf unserem Weg von seinem toten Pharao mit Weinen und Wehklagen.
Es dauerte mehr als eine Stunde, ehe wir die letzten Häuser von Men-nefer hinter uns gelassen hatten und die Stimmung auf den Schiffen etwas entspannter wurde. Vater und ich durften nun zu Amenophis unter den Baldachin kommen, wir nahmen rechts und links neben ihm auf der Bank Platz. Davor wurden Klapptische aufgestellt, und man servierte uns getrocknetes Fleisch, reichlich Gemüse und Obst, Wasser und Wein. Zu den leisen Klängen einer Harfe und einer Flöte aßen wir drei. Mein Vater erzählte von einer Schiffsreise, die er acht Jahre vorher mit Pharao Thutmosis nach Waset unternommen hatte. Schließlich legte er uns eine Karte vor, auf der er uns genau die einzelnen Stationen unserer Fahrt zeigte.
Wir beide waren allerdings sehr unaufmerksam, da wir mehr damit beschäftigt waren, das Treiben auf den Schiffenund an Land zu beobachten. Deswegen beendete mein Vater sehr bald die Lehrstunde und überließ uns unserer Neugierde.
Vorneweg fuhren zwei Lastschiffe, die nur mit Soldaten und Vorräten besetzt waren. Ihnen folgte das Schiff mit den Särgen von Osiris Thutmosis und der Geschwister Amenis. Danach kam unser Schiff, gefolgt von der Barke Mutemwias, dann fuhren Iaret, Ptahmose und Merire, dahinter die übrigen Lastschiffe.
Da unser Sitzplatz etwas erhöht war, brauchte sich Ameni nur leicht zur Seite zu drehen, um zu sehen, was sich bei Teje ereignete. Ich glaube, die Arme starb fast vor Langeweile. Pausenlos unterhielt sich Mutemwia mit meiner Mutter, während Teje artig daneben saß und unentwegt an Stickereien oder am Webstuhl arbeitete. Mir entging natürlich nicht, dass Ameni ihr zwischendurch zuwinkte und Teje dabei so rot wurde wie das Innere einer Melone.
«Ärgerst du sie nur, oder gefällt sie dir?», ließ ich meiner Neugier freien Lauf. Jetzt lief Ameni rot an, griff nach einer getrockneten Feige und warf sie mir unter übertriebenem Gelächter mitten auf die Stirn.
«Mädchen! Ich und Mädchen! Morgen werde ich dir zeigen, wie man ein Flusspferd harpuniert oder mit Pfeil und Bogen eine Ente im Flug schießt. Nein, im Ernst», er griff gierig nach seinem Weinglas und trank einen kräftigen Schluck, «irgendwie ist sie interessant. Sie gibt sich zwar immer so verschlossen und geheimnisvoll, aber sie ist sehr schön. Doch, das ist sie. Und sie hat ein ehrliches Gesicht.»
«Was hat sie?», fragte ich einigermaßen entsetzt. «Ein ehrliches Gesicht? Wenn das ehrlich ist! Eingebildet ist sie! Hochnäsig, eitel, was willst du noch hören?»
«Beruhige dich doch! Ich weiß gar nicht, weshalb du dich so aufregst. Ich habe doch nur gesagt, dass sie gut aussieht undein ehrliches Gesicht hat. Dass du als Bruder vielleicht eine andere Meinung hast, mag ja sein.»
Natürlich hatte er recht. Ich nahm deswegen mein Weinglas, hielt es ihm entgegen, und sagte mit einem etwas künstlichen, aufgesetzten Lächeln: «Dann heirate sie doch!»
Da warf er mir die nächste Feige an die Stirn. Ein auffällig lautes Räuspern meines Vaters bedeutete uns, dass wir uns etwas zurücknehmen mussten.
Es war spät geworden, aber an Schlaf war gleichwohl nicht zu denken. Vom Land her hörten wir die Stimmen der Menschen und Tiere, welche die Schiffe zogen, und die Befehle der Aufseher. Auf den Schiffen selbst herrschte ebenfalls eine ständige Unruhe durch Kommandos, durch Zurufe der Besatzung von einem Schiff zum anderen, durch das Knarren der Schiffsplanken oder das Plätschern des Wassers.
Erst als wir die Augen kaum mehr offen halten konnten, zogen wir uns in das Deckshaus zurück und schliefen auf den für uns aufgestellten Betten augenblicklich ein.
Den anderen Morgen verschliefen wir. Längst waren die Schiffsbesatzungen an Land gegangen, um die erste Mahlzeit einzunehmen. Der morgendliche Halt war auf unserer langen Reise nahezu die einzige Möglichkeit, unter den einzelnen Schiffsbesatzungen Mitteilungen auszutauschen, wenn man nicht jedes Wort von Schiff zu Schiff brüllen wollte. Nur in besonderen Ausnahmefällen war es nämlich gestattet, ein kleines Boot zu einem anderen Schiff zu schicken, um Nachrichten weiterzugeben. Zum einen war dies wegen der vielen Flusspferde und Krokodile sehr gefährlich, zum anderen hielt es den ganzen Zug in seinem ohnehin trägen Weiterkommen beträchtlich auf.
An Land waren bereits die ersten Zelte für den Herrscher, die Frauen und den übrigen Hofstaat
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