Im Land des Falkengottes. Amenophis
morgen früh noch ein einziger Stein von diesem Tempel übrig ist, werdet ihr alle den Abend nicht erleben, so wahr ich Amenophis Mer-chepesch bin! Also steht nicht lange herum und fangt an!»
Die Arbeiter starrten einander an und wussten nicht, wie ihnen geschah.
«Fangt an! Fangt an!» Ameni schrie in so entsetzlicher Wut, dass sich seine Stimme überschlug, und hätte er ein Schwert in der Hand gehabt, ich glaube, er hätte dem Nächstbesten den Kopf abgeschlagen. Nicht einmal mein Vater wagte es, dem Rasenden zu widersprechen, und erteilte die ersten Anweisungen, was zu geschehen hatte.
Amenemhet, Amenipet, Meri und die toten Arbeiter wurden, begleitet von Amenophis und uns, auf Bahren in den Palast getragen. Die Diener brachten die Geschwister des Königs in das Prinzengemach, wo sie zunächst sorgsam gereinigt und auf ihren Betten aufgebahrt wurden.
Die anderen Toten übergaben die Soldaten deren Familien. Es dauerte nicht lange, da wurden an Amenemhet und Amenipet dieselben Riten vollzogen, wie wenige Tage vorher am toten Pharao Thutmosis. Da es aber schon Abend wurde, brachte man sie jetzt nicht mehr über den Fluss in das Reinigungszelt, sondern wartete damit bis zum nächsten Morgen.
Als der Priester-Anubis sein Ritual beendet hatte, sah michAmeni zum ersten Mal seit dem schrecklichen Ereignis an. Es war der Anblick eines veränderten Amenophis. Fragend hochgezogene Augenbrauen, leere, traurige Augen, die weit wegschauten, irgendwohin, und zusammengepresste Lippen, die verzweifelt gegen Tränen kämpften, verrieten, dass Ameni mit seinen Kräften am Ende war. Sein Gesicht war verschmiert von Tränen, Staub und schwarzer Augenschminke, an Armen und Beinen hatte er Schürfwunden.
«Sie waren meine einzigen richtigen Geschwister», begann er zögernd.
«Die anderen, ich meine die Kinder von irgendwelchen Nebenfrauen meines Vaters, kenne ich kaum oder gar nicht. Ich weiß nicht einmal, wie viele es sind.»
Ameni nahm meine Hände und sah mich mit bebenden Lippen an.
«Bleibst du mir wenigstens erhalten?» Er begann heftig zu weinen. Ich umarmte ihn und drückte meinen Kopf fest gegen seinen.
«Natürlich, Ameni, wo sollte ich denn hin? Du weißt, was ich dir versprochen habe. Und daran wird sich nichts ändern.»
Wir standen eine ganze Weile so, bis er sich beruhigt hatte. Mit dem Handrücken wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht und verschmierte dabei den Rest der schwarzen Augenschminke noch mehr.
«Gehen wir, Ameni. Du siehst fürchterlich aus und musst dich waschen lassen. Niemand würde glauben, dass du Pharao bist!», versuchte ich ihn ein wenig abzulenken.
Überall im Palast herrschte gedrückte Stimmung. Alle Beamten und Diener verneigten sich stumm und mit ernster, starrer Miene. Scheinbar hatte sich der Wutausbruch des jungen Herrschers herumgesprochen, denn alle bewegten sich doppelt so schnell als sonst und waren auffällig, ja übertrieben zuvorkommend.
Während Ameni ein Bad nahm, wurde er vom Vorsteher des königlichen Bades äußerst behutsam gereinigt, doch jedes Mal, wenn dieser mit dem Schwamm auch nur in die Nähe einer Wunde kam, schien er um sein Leben zu fürchten. Ich erzählte derweil Geschichten aus meiner Kindheit, etwa wie ich als Achtjähriger Pyramidenrennmäuse züchtete, um deren Nachwuchs an meinen zahmen Falken zu verfüttern. Ameni hörte mir sehr aufmerksam zu, und ich glaube, ich konnte ihn ein wenig von seiner unendlichen Trauer ablenken.
Im Anschluss an das Bad unterzog er sich der Behandlung einer stattlichen Nubierin. Zu den Klängen einer Harfe pflegte sie erst die Kratzer und kleinen Wunden, dann rieb sie den ganzen Körper mit einem duftenden Öl ein, und schließlich wurde Amenophis von ihr massiert, anfangs etwas fester, was ich aus einem gelegentlichen heftigeren Durchatmen meines Freundes schloss, dann sanfter und langsamer, sodass er irgendwann unter den Händen der Nubierin einschlief. Mit dem milden Lächeln des Siegers legte sie vorsichtig ein Tuch über Amenis Körper, verneigte sich vor ihrem Herrscher und verließ lautlos den Raum.
Die Harfe spielte weiter. Ich stand leise auf und ging auf Zehenspitzen hinüber in mein Arbeitszimmer, wo überraschenderweise mein Vater auf mich wartete. Wie auch ich es oft tat, so saß er mit angewinkelten Beinen im Fenster und sah hinaus in die Dunkelheit der Nacht.
«Bist du schon lange hier?», wollte ich wissen.
«Du musst kein schlechtes Gewissen haben. Ich kam unangemeldet, und du warst bei
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