Im Land des Falkengottes. Amenophis
hierher gekommen?», wollte ich wissen. «Ich habe euch während der ganzen langen Reise kein einziges Mal gesehen!»
«Einige Schiffe mit Beamten und Dienern sind kurz vor uns in Men-nefer losgefahren und machten unterwegs kaum einen Aufenthalt. Deswegen sind sie schon länger hier und haben einige Vorbereitungen getroffen», klärte uns mein Vater auf.
«Glaubtet ihr wirklich, ihr würdet mit den wenigen Kleidern, die sich auf eurem Schiff befanden, auskommen?»
Und tatsächlich, die Truhen und Kästen in meinen Zimmern waren prall gefüllt mit Kleidern, Schuhen, Perücken und allem, was man zu den unterschiedlichsten Anlässen benötigt.
Am folgenden Morgen – ich hatte hoffnungslos verschlafen – wurde ich von Ameni persönlich geweckt. Er war bereits angekleidet und geschminkt, als er, gefolgt von mindestens sechs Dienerinnen, in mein Schlafzimmer kam. Die nahezu unbekleideten Mädchen stimmten tanzend einen lauten Gesang an, veranstalteten mit kleinen Metallschellen einen entsetzlichen Lärm, und Ameni klatschte dazu mit den Händen im Takt. Einige der Tänzerinnen machten seltsame Bewegungen, die ich damals noch nicht deuten konnte, aber ich war mir sicher, dass es sich bei den Mädchen jedenfalls nicht um Priesterinnen handelte. Anfänglich blickte ich etwas finster drein, und als sich meine Gesichtszüge erhellten und ich selbst lachen musste, schickte Amenophis die Tänzerinnen mit einer Handbewegung fort.
«Ich hatte die Befürchtung, du würdest den ganzen Tag verschlafen», sagte Ameni laut lachend und fuhr fort: «Die habe ich im Palast gefunden. Sie übten wohl gerade für die Feierlichkeiten nach der Krönung, und ich dachte mir, du solltest vorab eine Kostprobe erhalten. Steh jetzt endlich auf! Wir haben viel vor!»
Meinem Herrscher gehorchend, beeilte ich mich so gut ich konnte, wusch mir nur kurz das Gesicht, spülte meinen Mund mit Natron aus, band mir einen Schurz um und wollte gerade eine Perücke aufsetzen, da sagte ein ungeduldig wartender Ameni:
«Lass die Perücke! Wir halten uns nur im Palast auf», warf mir einen Granatapfel zu und verließ das Zimmer. Derart ungepflegt hatte ich noch selten einen Tag begonnen, und erst während der Mittagsruhe fand ich Gelegenheit zu einem Bad.
Der Tag war zum einen geprägt von der Klärung vieler organisatorischer Dinge, da am folgenden Tag die Toten beigesetzt werden sollten, zum anderen von einer Vielzahl größerer undkleinerer Audienzen, da jede bedeutende Persönlichkeit von Waset dem Herrscher vorgestellt werden wollte. Die Große königliche Gemahlin Mutemwia und mein Vater ließen Amenophis nicht einen Augenblick allein, damit ihm nicht der kleinste Fehler unterlaufen konnte. Von den Audienzen sollte ich mich zunächst auf Anweisung meines Vaters fernhalten, um nicht unnötig Neider auf den Plan zu rufen. Zu meiner Überraschung und großen Freude war Ameni damit gar nicht einverstanden. Er vertrat die Auffassung, dass es niemanden etwas anginge, wem er als Herrscher den Titel «Einziger Freund des Pharaos» verleiht und wo sich diese Person aufhält. Zwischen Amenophis und meinem Vater kam es deswegen beinahe zur offenen Auseinandersetzung. Schließlich fragte Amenophis mich in gereiztem Ton:
«Welche Meinung hast du in dieser Angelegenheit, Eje?»
Ich war richtig verzweifelt, weil es mir schwerfiel, mich auf die Seite des einen zu schlagen, ohne gleichzeitig den anderen zu verletzen.
«Majestät, in diesen Dingen steht mir eine Meinung nicht zu. Hier empfange ich nur Befehle», flüsterte ich mit gesenktem Haupt und in dem beschämenden Wissen, mit dieser Antwort niemandem gedient zu haben.
«Wenn ich mich recht erinnere, habe ich dir einmal vor Beginn unserer Reise in Men-nefer den Befehl erteilt, nicht von meiner Seite zu weichen, gleich, wer dir andere Anweisungen erteilt. Dieser Befehl hat noch immer Gültigkeit!» Amenophis hatte in sehr bestimmtem Ton gesprochen.
Mein Vater tat nun offenbar das einzig Richtige und sagte: «Von diesem Befehl hatte ich keine Kenntnis, Majestät. Jedes weitere Wort zu Eurem Wunsch erübrigt sich deshalb!» Er verneigte sich und schloss die Angelegenheit mit dieser kleinen Niederlage ab.
So wich ich auch an diesem Tag meinem Herrscher nichtvon der Seite. Da ich während der Audienzen kein Wort sagen musste, hatte ich reichlich Gelegenheit, mich ganz auf jede einzelne Person zu konzentrieren, die vor unserem Herrscher erschien. Ich beobachtete, wie alle gekleidet waren, wie sie sich
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