Im Land des Falkengottes. Amenophis
benahmen, und verschiedentlich konnte ich ganz gut hören, worüber sie sich im Gedränge, wenn auch flüsternd, unterhielten. Wenn ich es für nötig hielt, gab ich das Gehörte unauffällig an Ameni weiter. So vernahm ich auch, wie der Verwalter der Kornspeicher des Amun zu seinem Nebenmann bemerkte, er fühle sich nahezu gedemütigt, wenn er vor einem Knaben im Staub liegen müsse.
«Was empfindet Ihr an meiner Jugend so abstoßend?», fragte ihn Ameni daher, nachdem dieser sich wieder erheben durfte. Der unangenehm überraschte Verwalter brachte kein einziges Wort hervor und fand für die Frage seines Herrschers keinerlei Erklärung, weswegen Amenophis nachsetzte:
«Ihr solltet euch vielmehr glücklich schätzen, wenn Ihr Eurem Pharao noch lange dienen dürft», und gab ihm mit einem Wink seiner Hand zu verstehen, dass er sich zu entfernen hatte.
Die Fähigkeiten meines Gehörs blieben ein Geheimnis zwischen Ameni und mir, und nicht einmal mein Vater, der diesem Vorfall beiwohnte, hatte eine Ahnung davon, was gerade vor sich ging.
In den vielen Jahren, während derer ich Amenophis dienen durfte, erwiesen meine Ohren meinem Land und seinem Herrscher manch nützlichen Dienst. Nicht wenige Würdenträger wunderten sich, weswegen Ameni und ich immer lächelten, wenn ich von ihm mit dem Titel «Ohr Seiner Majestät», der etwas völlig anderes meinte, angesprochen wurde.
Nachdem am späten Nachmittag die Audienzen beendet waren, bestand Amenophis darauf, alle für den nächsten Taggetroffenen Vorkehrungen nochmals persönlich zu überprüfen. Ein Teil der Grabbeigaben, vor allem die Goldschätze und die heiligen Gegenstände, waren schwer bewacht im zweiten Hof des Amuntempels eingelagert. Andere Grabbeigaben wie Möbelstücke, Ausrüstungsgegenstände und Speisen verblieben auf den Schiffen.
Amenophis erkundigte sich auch beim verantwortlichen Hafenoffizier, ob auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses alles vorbereitet war: die Zugstiere und ihre Schlitten, ausreichend Seile und Gleitflüssigkeit. Von Ptahmose ließ sich Amenophis bestätigen, dass durch die Arbeiter der Totenstadt auch die Grabanlage selbst vollkommen fertiggestellt war. Erst als er sich überzeugt hatte, dass alles, was getan werden musste, getan war, gab sich Ameni zufrieden und forderte Vater und mich auf, ihn zum Abendessen zu begleiten. Niemand von uns war sonderlich gesprächig, wussten wir doch, dass der folgende Tag in jeder Hinsicht anstrengend werden würde. Wir gingen zeitig zu Bett, und trotz aller Aufregung schlief ich sofort ein.
Noch weit vor Morgengrauen wurden wir geweckt. Die Dienerinnen gaben sich beim Ankleiden ihres Herrschers noch größere Mühe als sonst, und auch die Pflege der Haare und das Schminken dauerten länger. Das Morgenmahl hatte jeder für sich eingenommen, und so musste ich noch eine Weile warten, ehe Amenophis fertig war. Im Audienzsaal des Palastes trafen wir auf unsere Familien und auf die höchsten Würdenträger der Beiden Länder. Wie üblich warfen sich alle, außer Mutemwia und Iaret, zu Boden, als Amenophis den Raum betrat, um nur kurz auf dem Thronsessel Platz zu nehmen. Durch ein Seitentor brachten zwölf Soldaten die königliche Sänfte in den Saal. Amenophis bestieg sie, und der Zug bewegte sich, angeführt vom Ersten Priester des Amun, langsamzum Tempel. Wie am Tag unserer Ankunft mussten jetzt viele der Anwesenden im Vorhof und weitere in der ersten Tempelhalle zurückbleiben. Erneut sangen Priesterinnen und Priester, stiegen Weihrauchwolken empor, betete Ramose zu Amun. Schließlich nahmen die Soldaten der Leibgarde die drei Särge auf und trugen sie, gefolgt von uns, in den Vorhof des Tempels und von dort in den Hafen zu den Schiffen.
Ein letztes Mal stimmte unser Volk sein lautes Wehklagen an, das anhielt, bis alle Schiffe das westliche Ufer des Flusses erreicht hatten. Jenseits der Hafenmauer befand sich ein mit Sandsteinplatten belegter, großer, schmuckloser Platz. Dort lagen etwa fünfhundert Männer ausgestreckt am Boden, die Arme verschränkt unter den Gesichtern. Es waren die Arbeiter der Totenstadt, die, jahrelang nur auf diesen einen Tag hingearbeitet hatten. Ihre Siedlung lag völlig abgeschlossen weit ab des Totentales, ohne frisches Wasser und ohne eigene Felder. Speise und Trank wurden ihnen und ihren Familien regelmäßig aus Waset gebracht. Ihr eigentlicher Lohn war die Ehre, die Totenhäuser der Pharaonen errichten zu dürfen, sowie das Vorrecht, sich selbst
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