Im Land des Falkengottes. Amenophis
der Erste Priester des Amun Ramose, dahinter Amenophis und schließlich mein Vater und ich. Völlig lautlos schlossen sich hinter uns die schweren Tore, und ich brauchte eine ganze Weile, ehe sich meine Augen an die dunkle Umgebung gewöhnt hatten. Weit oben unter dem Dach, das aus einer Vielzahl schwarzer Balken bestand, gelangte hinter einem Mauervorsatz Licht in den Raum. Fensteröffnungen gab es nicht. An den Wänden rechts und links des Einganges erkannte ich nun vier Figuren des Amun, jede mindestens sechzehn Ellen hoch und aus feinstem Rosengranit gearbeitet. Vor jeder Figur standen zwei Kohlebecken, aus denen Weihrauch nach oben stieg.
Gegenüber dem Eingang waren drei weitere, kleinere Türen zu sehen. Die mittlere war eine Scheintüre, und vor ihr stand auf einem schwarzen Sockel eine etwa drei Ellen hohe Figur des Amun aus reinem Gold. Die zwei anderen, mit Elektronbeschlagenen Türen, waren geschlossen und führten in das Allerheiligste, das nur Pharao oder in dessen Abwesenheit der Erste Priester des Amun betraten. Es gab nur einen denkbaren Fall, in dem zwei Menschen gleichzeitig diesen Raum betreten durften: wenn der Erste Priester des Amun vor der Krönungszeremonie den Herrscher in die heiligen Riten einweihte.
So weit war es aber noch nicht.
Nachdem die Soldaten die drei Särge in der Mitte des Raumes abgestellt hatten und seitlich Aufstellung nahmen, um die Totenwache zu halten, erklang durch die Lichtöffnungen der Decke von einem Nebenraum der Gesang von Priesterinnen und Priestern des Amun, begleitet von Harfen, Flöten und den hellen Klängen von Sistren. Es waren die Totengesänge, die seit urewigen Zeiten unsere Angehörigen auf ihrem Weg zu Osiris begleiten. Die fünf Priester, Ptahmose, mein Vater und ich legten uns bäuchlings vor den Särgen nieder, wobei unsere Köpfe auf den darunter verschränkten Armen ruhten. Währenddessen zog Amenophis mit dem Ersten Priester des Amun Ramose von Becken zu Becken und warf mit einer goldenen Kelle Weihrauch auf die glühende Kohle, sodass der Raum in kurzer Zeit wie eingenebelt war. Entgegen den Anweisungen der Priester hielt ich meine Augen nicht ganz geschlossen, sondern drehte meinen Kopf etwas zur Seite. So konnte ich unauffällig dem Geschehen vor mir folgen. Ich bin mir sicher, dass auch mein Vater und Ptahmose wissen wollten, was vor sich ging, denn auch ihre Köpfe steckten nicht vollständig zwischen den gekreuzten Armen. Schließlich hielten Ameni und Ramose vor dem goldenen Standbild des Amun inne, und der Erste Priester sprach laut zu den weiter erschallenden Gesängen einige Gebete.
Nach etwa einer Stunde durften wir uns wieder erheben. Die Soldaten nahmen um die Särge herum Aufstellung, während wir Übrigen durch die wieder geöffneten Tore die Halleverließen. Durch einen unscheinbaren Seiteneingang verließen wir den eigentlichen Tempelbezirk.
Die Priester führten uns durch einen mehrfach abknickenden Säulengang schweigend zu einem Palast von eher bescheidenen Ausmaßen östlich der Domänen des Amun. Mein Vater kannte sich dort offensichtlich aus, denn am Eingang zum Palastgebäude verabschiedeten sich Ramose und die anderen fünf Priester von Amenophis und kehrten in den Tempelbezirk zurück, während wir von meinem Vater und dem Palastvorsteher zu unseren Gemächern geführt wurden.
«Ich hatte mir Waset immer prächtiger vorgestellt, Juja!», begann Ameni das Gespräch. «Das Einzige, was hier prächtig zu sein scheint, ist der Tempel des Amun», fuhr er etwas missmutig fort.
«Da kann ich Euch kaum widersprechen, Majestät. Zwar sind auch die Unterkünfte der Priester äußerlich eher bescheiden, man sagt aber, auf der übrigen Welt gäbe es nicht so viel Gold wie innerhalb der Mauern der Domänen Amuns.
Allerdings besitzen die hohen Beamten – allen voran der Bürgermeister – Paläste, die Euch erblassen lassen», erwiderte mein Vater mit einem sehr provozierenden Lächeln. Offenbar war er sich sicher, dass Amenophis nicht bereit sein würde, diesen Zustand auf Dauer hinzunehmen. Zu oft hatte er auf unserer Reise nach Waset unerklärlichen Reichtum gesehen.
Schließlich erreichten wir die oberste Dachterrasse des Palastes. Dort stand auf Veranlassung des Palastvorstehers bereits ein großer Baldachin, darunter einige Tische und geschnitzte Klappstühle. Ehe wir uns setzten, ging Ameni an die Brüstung der Terrasse und sah hinab. Von hier hatte er den herrlichsten Ausblick auf die Stadt mit all ihren
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