Im Land des Falkengottes. Amenophis
Plätze und Gassen von Waset bis hinunter zum Hafen am Fluss. Ich muss gestehen, dass unser Gespann nicht nur einmal um Haaresbreite einem Unglück entging, aber Amenophis wäre mit Sicherheit nicht als Erster im Hafen gewesen, wenn ich es nicht aus Rücksicht auf seine Stellung, mehr noch auf seine Eitelkeit, zugelassen hätte. Die Menschen in Waset, die meisten schliefen zu dieser Zeit noch, mögen uns für verrückt gehalten haben, und im Vorbeirasen hörte ich, wie man uns so manches Schimpfwort und so manchen Fluch hinterherrief.
Am Hafen dampften die Körper der Pferde in der Kühle des anbrechenden Morgens, und die Tiere scharrten unruhig mit den Hufen, da sie um die bevorstehende, ungeliebte Überfahrt über den Fluss wussten.
Auf der anderen Seite begann die Jagd aufs Neue und führte uns geradewegs zum Tempel der Millionen Jahre von Pharao Thutmosis Men-chepru-Re. Es muss ein herrliches Bild gewesen sein: vorneweg der goldglänzende Streitwagen Pharaos, dicht gefolgt von meinem Gespann, und dahinter seitlich rechts und links versetzt die übrigen Wagen der Soldaten, eine unvorstellbare Staubwolke hinter sich herziehend.
Als wir auf den Tempel zurasten, nahm ich ein paar Priester wahr, die im Begriff waren, mit den ersten Kulthandlungen zu beginnen. Sicherlich glaubten die Ärmsten, ihnen stehe einÜberfall bevor, denn in wilder Flucht verließen sie die Tempelstufen und stürmten in das Innere ihres Heiligtums. Gerade als unsere Gespanne vor den Treppen zum Stehen kamen, erschienen vier kahl rasierte Oberpriester in weißen Gewändern und Leopardenfellen am Eingang, bauten sich breitbeinig vor uns auf und verschränkten mit finsterer Miene die goldbereiften Arme vor der Brust.
Erst als Ameni vom Wagen sprang und sich den Stirnreif mit der Uräus-Schlange gerade gerückt hatte, erkannten sie, wer vor ihnen stand. Drei der Priester fielen wortlos zu Boden, während der Vorsteher des Tempels sich tief verneigend nach Worten suchte. Amenophis beruhigte ihn mit dem Hinweis, er wisse selbst, dass er unangemeldet erschienen sei, er wolle aber nur den Fortgang der Bauarbeiten überprüfen und keine Opferhandlungen vornehmen. Dabei klopfte er sich den Staub aus seinem Schurz, zeigte mit der linken Hand auf den Eingang und sagte zu dem Priester: «Ihr erlaubt?»
Die Gardesoldaten und unsere Leibdiener nahmen vor dem Tempeleingang Aufstellung. Ameni und ich gingen in das Innere und besichtigten Raum für Raum. Die unvollendeten Teile sahen wir uns genauer an. Wir erkundigten uns beim Vorsteher der Arbeiten, ob die Anlieferung des Baumaterials, vor allem der Steine, zufriedenstellend war. Suti, ein ungepflegter Mann von nicht mehr als fünfundzwanzig Jahren, lag vor Nimuria am Boden und zitterte vor Aufregung am ganzen Leib. Er brachte kein vernünftiges Wort hervor, weil Pharao vor ihm stand. Amenophis erlaubte ihm, sich zu erheben und sogar ihn anzusehen. Suti wurde nun ruhiger, ja fasste Vertrauen und gab uns umfassend Auskunft über den Stand der Bauarbeiten. Ameni war mit der Leistung des Vorstehers der Bauarbeiten am Tempel der Millionen Jahre für Osiris Thutmosis Men-chepru-Re zufrieden und versprach Suti, er würde von seinem Herrscher hören, sobald die Arbeiten hier gänzlichvollendet wären. Ohne großes Aufsehen verabschiedeten wir uns vom Vorsteher der Tempelarbeiten und von den Priestern, bestiegen unsere Wagen und rasten erneut los.
Unser Weg führte uns ein Stück zurück nach Süden, dann auf die Hügel westlich der Totentempel und von dort zum Eingang des Totentales. Wir stiegen von den Wagen, und Ameni und ich, begleitet von unseren Dienern, gingen zum Eingang des Tales. Der schmale Durchlass zwischen den steilen Felsen war streng bewacht. Der Vorsteher der Arbeiten erwartete uns dort. Er hieß Hor, und er war der Zwillingsbruder von Suti, den ich eben erst kennen gelernt hatte. Hor war jedoch eine wesentlich gepflegtere Erscheinung als sein Bruder. Auch sein Auftreten war sicherer. Hor und die Wachsoldaten am Eingang des Tales warfen sich vor Pharao in den Staub. Hor hieß seinen Herrscher in gebührender Weise mit den üblichen Grußformeln willkommen und erklärte sodann, dass er in den letzten Tagen umfangreiche Erkundungen angestellt habe und seinem Herrscher nun die Ergebnisse vorstellen wolle. Amenophis befahl den Soldaten, am Eingang des Tales zu verweilen. Nur unsere Diener begleiteten uns mit Sonnenschirmen.
Es war Brauch, dass auch Pharaonen im inneren Bereich des Tales zu Fuß
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