Im Land des Falkengottes. Echnaton
bat mich, jetzt mit ihr in den Garten zu gehen. Dort verbrachten wir den Rest des Nachmittags. Dann gingen wir hinauf zu unserer Dachterrasse. Wir aßen und tranken, ruhten uns aus und freuten uns darüber, dass sich auch Mutnedjemet mit ihrem neuen Zuhause zufrieden zeigte. Von hier sahen wir über die Bäume und die Gartenmauer hinweg auf die Stadt, auf den Fluss und das dahinter liegende weite Grünland. Und schweigend sahen wir auf die Sonnenscheibe, die – rot glühend und alles Land in ihr mildes Abendlicht tauchend – irgendwo im fernen Westen, dessen Ende niemand kannte, unaufhaltsam versank.
Mutnedjemet war schon lange zu Bett gegangen, da bat ich Ipu für diesen Tag um einen letzten Dienst: Er sollte Ti und mir ein Bad einlassen.
Die Zeit, da die Saat heranwächst und die wir Peret nennen, neigte sich dem Ende zu. So geschah es im sechsten Regierungsjahr Echnatons, am dreizehnten Tag im vierten Monat des Peret, dass der Gute Gott, unser Herrscher Neferchepru-Re Waen-Re Echnaton, er lebe, sei heil und gesund, mit seiner Großen königlichen Gemahlin, meiner Tochter Nofretete und mit den Prinzessinnen Meritaton und Maketaton in seiner neuen Hauptstadt eintraf. Es sollte eine Ankunft für immer sein. Nie, nie mehr würde Echnaton seine Stadt verlassen.
Haremhab und Mahu, Aper-el und ich hatten die ganze Nacht kein Auge zugetan. Lange vor Sonnenaufgang wurde die königliche Flotte erwartet. Wir standen an der südlichen Landungsstelle des Stadtpalastes und starrten unentwegt auf dasWasser. Es hingen einige Nebelfetzen im Schilfgürtel des Flusses, die die Ausschau nach Pharao noch anstrengender machten.
«Sind alle Soldaten auf ihren Posten?», fragte ich Haremhab, und kaum dass die Frage ausgesprochen war, wusste ich, wie unnötig und unsinnig sie war, denn es gab keinen Soldaten, der Haremhab an Zuverlässigkeit hätte übertreffen können. Er sah mich deswegen verwundert an, und schweigend nickte er mit dem Kopf.
«Sie kommen», flüsterte ich. Mein Gehör hatte mich nicht im Stich gelassen. Lange, bevor ich etwas sehen konnte, hörte ich, wie die Ruderblätter gleichmäßig auf das Wasser klatschten, immer deutlicher, immer lauter, bis auch Mahu sagte: «Ja, sie kommen.»
Die Schiffe fuhren in Keilform auf Achet-Aton zu, so wie es Wildenten und Wildgänse tun, wenn sie in großer Höhe über das Land hinwegfliegen. Die königliche Barke lief als erste die Anlegestelle an, und die übrigen Schiffe scharten sich sogleich um sie, als wollten sie das Schiff des Guten Gottes schützend in ihre Mitte nehmen. Echnaton stand mit Nofretete und den Prinzessinnen am Bug und sah geduldig zu, wie sein Schiff vertäut und der vergoldete Holzsteg gelegt und befestigt wurde. Trotz der vielen Schiffe lag eine gespenstische Ruhe über all dem Geschehen, es wurde kaum gesprochen, behutsam und nahezu geräuschlos bewegte sich ein jeder.
Die königliche Familie verließ die Barke, begrüßte selbst mich nur kurz und ging zwischen zwei langen Reihen Soldaten zum Palast. Echnaton hatte es sichtlich eilig, und so hielten sie sich nicht im Palast auf, sondern verließen ihn am östlichen Eingang wieder, um dort gemeinsam den Streitwagen Pharaos zu besteigen, der schon bereitstand. Ich nahm meine Enkeltöchter zu mir auf den Wagen, und dann bewegte sich der Zug auf der breiten Prachtstraße, die man jetzt «Königsweg» nannte, in Richtung Norden.
Die Wegstrecke zum Gempa-Aton war kurz, keine zweitausendEllen weit. Außer den Soldaten, die auch hier den Weg Pharaos säumten, war kein Mensch zu sehen. Vor dem doppeltürmigen Eingangstor hielten wir an, und alle stiegen ab. Vor jedem Turm ragten fünf Fahnenmasten empor, und Echnaton sah kurz hinauf, als ob er sich vergewissern wollte, dass sie auch alle mit den langen, bunten Fahnen behangen waren. Zehn Masten zierten den Eingang des Gempa-Aton – acht waren es nur am Tempel des Amun in Waset. Hier wurden wir von der Priesterschaft Atons empfangen, allen voran Merire, Pentu und Panehsi.
Wir durchschritten das erste und das zweite Tor, dann betraten wir den ersten großen Hof des Tempels. Dort standen dreihundertfünfundsechzig steinerne Altäre. Auf einigen von ihnen legten Echnaton und Nofretete Opfergaben nieder, die ihnen von Pentu und Panehsi gereicht wurden. Der Erste Sehende des Aton, Merire, verneigte sich demütig und wies mit seiner Rechten den Weg zum nächsten Torturm, der ebenso wie die anderen mit gewaltigen Abbildungen der Königsfamilie und der
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