Im Land des Falkengottes. Echnaton
das Leben der Stadt. Ihre Fürsten und Mächtigen erhielten Quartier in den Palästen und Gästehäusern Pharaos. Die weniger bedeutenden, die Händler und Kaufleute und die vielen, die ihnen einfach nur gefolgt waren, um ihr Glück zu suchen, sie schliefen in einer der tausend Herbergen oder Spelunken, die Waset in jeder Beschaffenheit zu bieten hatte. Da wurde gehandelt und getauscht, gestohlen und betrogen. Es war ein Hassen und ein Lieben, der Mund war ebenso schnell zum Kusse gespitzt, wie der Dolch gezückt war, um einen anderen niederzustoßen. Die Polizei in Waset hatte wahrhaft genug zu tun in diesen Tagen.
Die Bilder an den Außenwänden der Tempel wurden erneuert, und jetzt sah man Pharao in frischen, leuchtenden Farben, wie er, eine mächtige Keule schwingend, die Feinde Ägyptens niederschlug. Man sah ihn vor Amun, Hathor und Ptah, vor Osiris und Chons und vor dem falkenköpfigen Re-Harachte. An den Spitzen der vielen Fahnenmasten vor den Tortürmen der Tempel flatterten neue Bänder in allen Farben, und selbst die vergoldeten Spitzen der Obelisken wurden gereinigt und poliert. Wo es nötig war, wurden sogar die Straßen mit frisch gebrochenen Steinplatten belegt, und selten zuvor hatte man in Waset eine Blüten- und Blumenpracht gesehen, wie in diesen Tagen.
Die Abgesandten der mit Ägypten befreundeten und verbündeten Länder trafen zuletzt ein. Sie kamen aus Mitanni, Babylon und Syrien. Aus den Städten Megiddo und Kadesch, sogar aus dem fernen Hattuscha, der Hauptstadt der Hethiter, kamen Abgesandte an den Hof Pharaos. Zuletzt erschien der bedeutendste unter ihnen, Merimes, der Stellvertreter Pharaos in Nubien, der seit alters her den Titel «Königssohn von Kusch» trug.
Er erschien in solcher Pracht und umgeben von einer ZahlDiener und Sklaven, dass man glauben mochte, er selbst sollte zum Mitregenten ernannt werden. Merimes nützte sein Erscheinen bei Hofe gleichzeitig dazu, um die jährlichen Tribute abzuliefern. Es waren einhundertvierzig Männer, die Silber trugen; einhundertzwanzig, die Gold trugen. Jene, die mit Karneol beladen waren, zählten zweihundert; die mit Elfenbein vierzig. Es waren sechshundert Männer, die mit Ebenholz beladen waren und einhundertsechzig, die Weihrauch brachten. Zehn Männer führten einen lebenden Panther, und es waren zweihundert, die Lang- und Kurzhornrinder führten. Die Zahl der Tributträger, die Merimes begleiteten, betrug eintausendvierhundertsiebzig.
Pharao ließ in den Wochen vor dem Eintreffen Merimes’ vor dem Palast der leuchtenden Sonne einen kleinen Aussichtspalast, einen Maru, errichten. Von dort konnten er, die königliche Familie und der gesamte Hofstaat den Aufmarsch des Königssohnes von Kusch und seines Gefolges beobachten. Siebenundzwanzig Schiffe legten am frühen Nachmittag am westlichen Ufer an, und nachdem all die kostbare Fracht abgeladen war, setzte sich der Zug mit Merimes in seiner Mitte in Bewegung. Hunderte Kriegstrommeln schlugen den Takt, und schon von weitem hörten wir ihren dumpfen Klang, der mir meine Erlebnisse im Feldzug gegen die Aufständischen im südlichen Kusch in Erinnerung rief.
Die ersten Tributträger zogen an Pharao vorbei und ließen ihn einen kurzen Blick in ihre Körbe und Kisten werfen, um sie sogleich in das königliche Schatzhaus zu tragen. Dann stieg Merimes aus seiner Sänfte und warf sich vor Nimuria nieder. Er zählte weit mehr als sechzig Jahre und war noch von der nämlichen Leibesfülle wie damals, als ich ihn vor zwanzig Jahren in seinem Palast von Napata zum ersten Mal sah. Er trug noch dieselben schwarzen Locken und schwere goldene Ringe an den Ohren. Nur von seiner Wendigkeit, an die ich mich noch erinnerte, war nach all den Jahren nicht viel geblieben. Er war alt geworden.
Merimes durfte sich erheben und vor seinen Herrscher treten. Er erläuterte in den dürren Worten eines Finanzbeamten, wie sich der diesjährige Tribut Nubiens zusammensetzte, und endete mit den Worten:
«Eure Majestät, sie lebe, sei heil und gesund, möge zufrieden sein mit dem, was Euer Diener Merimes aus dem elenden Kusch zu Euch bringt, um Euer Glück und Euren Wohlstand zu mehren für alle Zeit.»
Nimuria lächelte milde und bedankte sich bei Merimes für dessen treue Dienste. Ich weiß nicht, was in seinem Kopf vorging. Wie viele der Anwesenden mag auch er überlegt haben, wo der Königssohn von Kusch wohl die andere Hälfte von dem, was er hier zeigte, versteckt haben mochte. Aber gewiss, Nimuria war zufrieden
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