Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land des Falkengottes. Echnaton

Im Land des Falkengottes. Echnaton

Titel: Im Land des Falkengottes. Echnaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
Vom Netzwerk:
bildeten, standen die großen Steinfiguren des Herrschers, die einzigartigen Geschöpfe des Bildhauers Thutmosis. Die Diener Amuns waren darüber nicht nur erschrocken, sie zeigten sich vielmehr entsetzt und angewidert. Trotz des jetzt lauter werdenden Gesangs, trotz meiner nicht unbeachtlichen Entfernung vernahm ich deutlich Bemerkungen wie «unglaublich», «grässlich» und «ekelhaft». Ich behielt sie für mich, denn ich wollte weder Nimuria noch seinem Sohn diesen Tag, welcher der Höhepunkt des Heb-Sed sein sollte, mit dem schmutzigen Geläster dieser Priester verderben.
    Die beiden Herrscher begannen nun, vorbereitete Opfergaben auf die Altäre zu legen und Aton aus goldenen Kannen Wasser zu spenden, indem sie es über die Gaben und auf den Boden ausgossen. Ganz allmählich erreichten wir die ostwärts gerichtete Wand des Tempels mit einer Abbildung Re-Harachtes in ihrer Mitte. Sie zeigte den Sonnengott in Menschengestalt mit Falkenkopf, über welchem eine mächtige Sonnenscheibe prangte. Die Sonnenscheibe bestand aus einer kreisrunden Öffnung in der Tempelmauer von zwei Ellen Durchmesser.
    Dreißig Ellen vor dem Bild Re-Harachtes stand mitten auf der freien Fläche des Tempelhofes die größte und beeindruckendste Steinfigur des jungen Herrschers. Da waren sie wieder, die prallen Oberschenkel, der gewölbte Bauch, die weibischen Brüste und das lang gezogene Gesicht mit den aufgeworfenen Lippen, den schlitzartigen, schräg liegenden Augen und der schmalen, in die Länge gezogenen Nase. Und jetzt, da wir alle etwas seitlich zu dieser Abbildung standen, vollzog sich ein einmaliges Schauspiel: Die Sonne, die sich inzwischen weit über den Horizont erhoben hatte, stand jetzt so hinter der Tempelmauer, dass ihre Strahlen durch den geöffneten Kreis der Sonnenscheibe drangen und von oben nach unten wandernd auf das steinerne Gesicht Pharaos fielen.
    Aus dem Kohlebecken davor stieg unaufhörlich Weihrauch empor. Doch solange sich seine Schwaden im Schatten der Mauer bewegten, wurden sie von unseren Augen kaum wahrgenommen, der Weihrauch blieb ein unscheinbarer, dünner Nebel. Als er jedoch das Sonnenlicht erreichte, entstand, scharf abgegrenzt zum Schatten, eine reine, weiße Pracht, eine göttliche Wolke, die sich heilig duftend, ineinander verschlungen emporwand und die in dem Lichtstrahl, der sie erst belebte und sichtbar gemacht hatte, nach oben, zu Re-Harachte, weiterzog. Im Glanz des Sonnenlichts, das die Gottheiten miteinander verband, bildete der Weihrauch den heiligen Atem, der beide gegenseitig belebte.
    So verstanden es alle Anwesenden, vor allem auch die Priester Amuns, denn sie begannen unruhig zu werden. Nimuria bemerkte dies, tat zwei Schritte auf das Kohlebecken zu und griff nach einer Opferkelle, um frischen Weihrauch in die Glut zu werfen. Da rief Ramose, der Erste Sehende des Amun, laut: «Begeht nicht diesen schändlichen Frevel, Nimuria!»
    Kaum, dass er dies gesagt hatte, trat er mit seinen Begleitern nach vorn, und während Nimuria erschrocken innehielt, fuhr er fort: «Dies ist kein Heiligtum, wie es den Göttern Ägyptensziemt! Dieses Bauwerk ist außerhalb aller Vorschriften errichtet. Es hat kein Allerheiligstes, und es birgt nicht einmal eine wahre Gottheit. Seht Ihr irgendwo die Statue eines Gottes, die es zu verehren gilt? Stattdessen wollt Ihr Eurem Sohn ein Weihrauchopfer bringen, denn eine Götterfigur, der Ihr opfern wolltet, kann ich nicht sehen!»
    Alle blickten jetzt erst auf Nimuria, und nachdem dieser schwieg, auf Amenophis Waen-Re.
    «Ihr werdet hier niemals eine in Gold gegossene Gottheit vorfinden, Ramose», sagte der junge Pharao mit ruhiger Stimme. «Aton offenbart sich im Licht der Sonne. Er braucht kein Abbild aus Stein, Gold oder Elektron, denn er ist gegenwärtig, wenn er sich uns zeigt. Seht Ihr nicht mit eigenen Augen, dass mein Gott tatsächlich gegenwärtig ist? Aton offenbart sich uns in Licht und Zeit, in seinen Strahlen und in seiner Bewegung.»
    «Aber er birgt kein Geheimnis, keine Botschaft. Er hat keine Geschichte, kein Herkommen, und er gehört zu keiner Götterfamilie», entgegnete Ramose mit zusammengekniffenen Augen, und kaum, dass er dies gesagt hatte, presste er verbissen die Lippen zusammen.
    Pharao dagegen lächelte milde und sagte: «Aton braucht keinen Vater, denn er ist unser aller Vater. Er braucht keine Mutter, denn er ist unser aller Mutter. Er braucht keine Geschichte, denn er war immer, und er wird immer sein. Das Wirken und das Sein Atons

Weitere Kostenlose Bücher