Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Wasserfläche, die ruhig vor uns lag wie ein gewaltiger See, in ihr rotgoldenes Licht. Ich verspürte kaum Wellengang, und ein leichter, aber steter Nordwestwind blähte die Segel unserer Schiffe, sodass die Soldaten nicht rudern mussten und ihre Kräfte für die bevorstehenden Kämpfe schonen konnten. Sie verbrachten die Zeit auf unterschiedlichste Weisen. Die einen erzählten Geschichten und prahlten mit Heldentaten vergangener Schlachten. Andere sorgten sich um ihre Rüstung und schärften Schwerter und Pfeilspitzen. Wieder andere schauten schweigend auf das Meer hinaus oder sangen nachdenklich und in sich gekehrt ein Liebeslied. Diese Beschaulichkeit auf unseren Schiffen machte esmir schwer, mir das Tosen des Meeres bei Sturm und Wellengang vorzustellen.
Amenemhet und ich wichen nicht von der Seite Pharaos. Wenn er nicht gerade einen von uns beiden ein ums andere Mal im Senet besiegte, befragte er mich wieder und wieder nach meinen Erlebnissen aus dem Feldzug gegen die Nubier, oder er verschoss von seinem Platz am Bug des Schiffs Pfeil um Pfeil auf die geflochtene Scheibe, die Amenemhet für ihn am Heck hatte anbringen lassen. Das war nicht ungefährlich, denn hin und wieder verirrte sich doch der eine oder andere Pfeil, der auf seinem Weg zur Zielscheibe entweder von einem pendelnden Tau abgelenkt oder von Nassib leichtsinnig verschossen wurde.
Während all dieser Zeit ließ Tutanchamun seine Waffen nicht aus den Augen. Immer wieder ergriff er den Schild, der eigens für ihn gefertigt worden war. Er war aus Ebenholz geschnitzt und vergoldet, mit dunkel bemaltem Rahmen und beinahe zwei Ellen hoch. Er zeigte Pharao in Gestalt eines Sphinx, der die Doppelkrone und einen Zeremonialbart trug und unter dessen Tatzen zwei nubische Fürsten, stellvertretend für alle Feinde Ägyptens, zertreten wurden. Hinter dem Sphinx waren ein Straußenfächer und ein Falke mit ausgebreiteten Schwingen zu sehen, und darüber, in der oberen Wölbung des Schildes, eine geflügelte Sonnenscheibe, die ihre ausgespreizten Schwingen schützend über das göttliche Wesen hielt. In drei senkrechten Spalten standen rechts die Worte:
«Der Gute Gott, der die Fremdländer zertritt und die Großen aller Fremdländer zerschlägt. Herr der Kraft wie der Sohn der Nut, heldenhaft wie Month, der residiert in Men-nefer, der König von Ober- und Unterägypten, der Herr der Beiden Länder Neb-chepru-Re, dem Leben gegeben werde, Sohn des Re, sein geliebter Tutanchamun, Herrscher von Waset, wie Re.»
Paramessu ließ die Flotte nur bei Tag segeln. Abends warfen die Schiffe in Küstennähe die Anker und verbrachten Rumpf an Rumpf die Nacht, um am anderen Morgen erneut in südöstlicherRichtung aufzubrechen. Dann ging es weiter nach Nordosten, bis wir schließlich nach vier Tagen Seefahrt das mit Ägypten befreundete Gaza erreichten. Im Hafen dieser uralten Stadt, die Pharao mit herzlichem Jubel begrüßte, frischten wir erstmals unsere Vorräte auf, um schon am anderen Morgen nach Askaluna weiterzusegeln. Der Wind stand noch immer günstig, und so erreichten wir schon am späten Abend Joppe. Drei weitere Tage brauchten wir bis Akka. In Tagesabständen segelten wir von dort nach Tyros und Sidon.
In Berut traf Tutanchamun zum ersten Mal auf die schrecklichen Hinterlassenschaften des Krieges, auf niedergebrannte Häuser und eingerissene Tempel, auf zertrampelte Felder und auf zerstörte Gärten. Und er sah die Menschen, die die Schlachten, welche Haremhab und Suppiluliuma um diese Stadt geführt hatten, übrig ließen: verkrüppelte Soldaten, denen sie einst Ruhm, Ehre und ein sorgenfreies Leben versprochen hatten. Stattdessen lagen sie im Schatten notdürftig errichteter Zelte, litten Schmerzen und Durst und mussten es hilflos erdulden, wie unzählige Fliegen gierig über ihre eitrigen Wunden herfielen, bis sie endlich das Bewusstsein verloren und nach Stunden oder Tagen im Fieberwahn in eine bessere Welt hinüberdämmerten. Da gab es die Witwen dieser Stadt, alte wie junge; doch sie alle waren gleichermaßen verzweifelt, denn die meisten hatten schon die Gewissheit, dass ihr Liebster an der Seite der Ägypter gefallen war und dass ihnen das Schicksal nur Ruinen zurückgelassen hatte, Ruinen ihrer Häuser und Ruinen ihres Daseins. Manche lebten noch in der quälenden Hoffnung, dass er vielleicht noch am Leben war. Letztere huschten durch die Zelte mit den stöhnenden, schreienden und sterbenden Kranken, hasteten von Mann zu Mann, um zu sehen, ob
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