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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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vergessen. Oder er will es uns nicht sagen», setzte Tutanchamun noch einmal nach, bevor er das Mädchen leidenschaftlich küsste.
    «Die Tränen des Re», gab der Angesprochene zum Besten. «Gewiss wird dir der Gottesvater den Schatz aller Schätze zu Füßen legen. Er hat die Tränen des Re!»
    Wieder hob schallendes Gelächter an, und ich überlegte für einen kurzen Augenblick, ob es nicht besser wäre, den Saal wortlos zu verlassen. Es schien sich an diesem Abend alles gegen mich verschworen zu haben. Aber ich dachte nicht daran, klein beizugeben, und sagte laut, so laut, dass alle es hören konnten: «Ich halte sie noch nicht in meinen Händen. Aber ich weiß, wo man die Tränen des Re finden kann.»
    Jetzt herrschte betretenes Schweigen im Saal, und alle blickten erwartungsvoll auf Pharao. Dieser wandte sich kurz von seiner Gespielin ab und sagte in müdem und gelangweiltem Ton: «Hör auf mit diesem Unsinn, Eje! Seit ich dich kenne, erzählst du mir das Märchen von den Tränen des Re. Es langweilt mich!»
    «Es ist kein Unsinn, Nassib. Ich weiß genau, wo man sie finden kann», antwortete ich ihm ruhig und hatte dabei nicht bedacht, welche Wirkung die Nennung seines Kosenamens haben konnte. Er riss die Augen weit auf, seine Nasenflügel bebten, und achtlos schob er das Mädchen beiseite. Er beugte sich weit vor, und ganz langsam, jede einzelne Silbe betonend, rief er mir zu: «Dann geh und hol mir die Tränen des Re! Heute noch!»
    Jedem im Saal stockte der Atem. Ausnahmslos alle Augen waren jetzt auf mich gerichtet. Ich hätte mich herauswinden können, ohne dabei mein Gesicht zu verlieren. Aber ich wollte es wissen.
    «Ist das ein Befehl, Majestät?», fragte ich ihn ganz förmlich und sah ihm dabei durchdringend in die Augen. Er sah mich ebenso durchdringend an, und mir war, als verginge dabei eine Ewigkeit. Ich flehte in meinem Innersten nicht einmal um Gnade, obwohl ich wusste, dass sein Befehl den sicheren Tod für mich bedeuten würde.
    «Ja», sagte er. «Das ist ein Befehl. So sei es, und so werde es geschrieben!»
    Dann tat er etwas, was ich nicht verstand. Er griff nach seinem Becher, hob ihn hoch und sagte: «Auf deinen Ka, Eje!»
    «Auf deinen Ka!», flüsterte ich.
    Alle Gäste hatten deswegen wohl geglaubt, der Befehl Pharaossei nur ein Scherz gewesen, und erhoben ebenfalls ihre Becher, tranken und fuhren fort, das Fest zu genießen. Auch Tutanchamun kümmerte sich nicht weiter um mich, wandte sich wieder dem Mädchen zu, um ihm erneut irgendwelche Liebesschwüre ins Ohr zu flüstern. Niemand nahm Kenntnis davon, als ich kurz darauf den Saal verließ.
     
    Fünfundfünfzig Jahre hatte ich im Dienst der Herrscher Ägyptens gestanden. Jetzt, als Siebzigjährigen, warf man mich hinaus. Ja, er hatte mich hinausgeworfen, wie einen lästigen Bittsteller. Ich hätte mich für ein paar Tage zurückziehen können. Wahrscheinlich wäre er es sogar gewesen, der nach mir geschickt hätte, um mich vordergründig um einen mehr oder weniger belanglosen Rat zu bitten und um in Wirklichkeit zu sehen, ob ich ihm noch böse war. Denn er wusste nur zu gut, dass ich mit meiner Kritik an ihm Recht hatte. Und was wäre, wenn ich zurückkehrte? Was würde geschehen, wenn er wieder betrunken war, wenn seine Freunde ihn wieder anstachelten und er erneut vergaß, wer er war, wer ich war? Vielleicht tat er gut daran, mich für immer wegzuschicken. Denn einen Eje, der zu Hause saß und nur noch seinen Garten genoss und seine Pferde bestaunte, würde es nie geben. Das wusste er genauso gut wie ich.
    Aber musste er mich deswegen gleich in den Tod schicken? Ein Siebzigjähriger konnte eine solche Reise nicht überleben. Ramose, der Erste Sehende des Amun, wurde von Echnaton auf diese Weise auch in den Tod geschickt. Dass ich einmal das gleiche Schicksal erleiden würde wie der von mir so verhasste Ramose!
    Aber wenn ich sie doch fand? Wenn es mir altem Mann gelang, die Tränen des Re zu finden?
    «Unsinn, Eje!», sagte ich zu mir selbst, als ich an meinem Schreibtisch saß.
    Vor mir lag die Elfenbeinschatulle, die mir Amenophis einst geschenkt hatte.
    «Ich hatte wirklich kein Geschenk für dich», schrieb ich mitzittriger Hand. «Nimm dieses dafür. Es ist von deinem Großvater. Eje.»
    Ich versiegelte den Brief und gab ihn meinem Schreiber mit der Anweisung, ihn zusammen mit dem Geschenk in drei Tagen im Palast für Tutanchamun abzugeben.
    «Was habt Ihr vor, Herr?», fragte mich mein Diener Ipu, als ich mich noch vor

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