Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Lampen über die Karte. Steig auf den Tisch!», befahl er ihm.
Dann legte er eine Landkarte unter den Sternenhimmel aus Papyrus und schob sie langsam hin und her.
«Ihr sagt mir die zweite Hälfte Eures Textes auf!»
Also sprach ich zum gewiss tausendsten Mal die Worte: «Im grünen Land steht der Stier …»
«Langsam!», unterbrach mich Sethi.
«Wenn ich annehme, das grüne Land ist die Oase Siwa weit im Westen, dann müssten die Pforten der Ewigkeit …»
Er hielt kurz inne und sagt dann zu dem Priester, der die Karte hielt: «Etwas tiefer mit der Karte. Noch etwas tiefer! Genug!»
Jetzt waren die Lichtpunkte auf der Landkarte noch schärfer zu erkennen. Wieder begann er, vor sich hin zu reden: «Dann müssten die Pforten der Ewigkeit die Pyramiden sein. Weiter, Gottesvater!»
«Tod ist nur dort, wo der Falke über dem Löwen kreischt», flüsterte ich ehrfurchtsvoll, denn ich spürte, dass wir dem Rätsel immer näher kamen.
«Tod, Gottesvater Eje, ist in der westlichen Wüste. Oase stimmt noch, Pyramiden auch, und jetzt die Wüste. Weiter!»
«Und Tränen sind unter den Krallen des göttlichen Kindes.»
«Horus, du göttliches Kind», sagte er vergnügt, «wo sind deine Krallen?» Er blickte kurz von unten auf die Bilder der Karte, um sich zu vergewissern, dass er den richtigen Stern erfasste.
«Hier!», rief er laut und legte die Spitze seines Zeigefingers auf die Karte.
«Hier findet Ihr die Tränen des Re. Der erste Teil Eures Textes ist nichts anderes als der Hinweis auf die Sternenkarte selbst. Mehr bedeutet er nicht. Die zweite Hälfte nennt Euch den Fundort. Hier ist er», stellte er sachlich fest und schob den Priester mit der Sternenkarte beiseite, damit der Schein der beiden Lampen auf unsere Landkarte fiel. Seine Fingerkuppe ruhte auf einem Fleck inmitten der libyschen Wüste, weit südlich der Oase Siwa, am Südrand jenes Gebietes, das man auch den Großen Sandsee nannte, weit weg von jeglichem Leben und jeglicher Kultur.
«Kein Mensch kommt dorthin», stammelte ich enttäuscht.
«Vor allem kommt kein Mensch von dort zurück», stellte Sethi nüchtern fest. «So viel Wasser können Eure Esel gar nicht schleppen, wie Ihr braucht, um beide Strecken zurückzulegen.»
«Es muss aber einen Weg geben, Sethi. Denn sonst wäre Euer Tempel nicht in den Besitz eines dieser Steine gekommen. Und ich werde nicht nachgeben, bis ich einen Weg dorthin ausfindig gemacht habe.»
«Und wen werdet Ihr mit der Suche beauftragen? Niemand wird diesen Weg freiwillig und mit Freude gehen.»
Ich sah den Priester mit hochgezogenen Brauen an und gab ihm zur Antwort: «Das entscheidet allein Pharao.»
Kaum eine Woche später feierte Pharao ein prächtiges Fest: Es war der erste Jahrestag seiner Großjährigkeit und damit seiner Alleinregierung. Er war jetzt siebzehn Jahre alt. In den Beiden Ländern hatte er sich einen großen Namen gemacht, denn überall, von der Flussmündung bis hinab in das elende Kusch, ließ er die alten Tempel ausbessern und vergrößern. Er ließ neue Tempel und Denkmäler aller Art errichten. Er achtete darauf, dass keine Gottheit übergangen wurde und dass jede von ihnen das bekam, was ihr gebührte. Wie schon seit langem nicht mehr wurden wieder Gold und Silber, Edelsteine aller Art, Waffen und Elfenbein in den Schatzkammern Pharaos angehäuft. Unser Land war mit reichen Ernten gesegnet, und niemand mussteHunger leiden. Er ließ kostbaren Schmuck und Möbelstücke von seltener Schönheit anfertigen.
Dabei hatte es ihm der heilige Käfer, der ja ein Bestandteil seines Thronnamens war, besonders angetan. Er ließ den Chepri aus allen Arten von Edelsteinen schneiden: aus Lapislazuli und aus Karneol, aus Amethyst oder einfach nur aus einem harten, grünen Stein.
Er ließ sich Ketten und Halskragen anfertigen, wie man sie zuvor noch nicht gesehen hatte. Er besaß unzählige Ohrgehänge, die an Zierlichkeit und Farbenpracht nicht zu überbieten waren. Winzige Perlenketten hingen von ihnen herab, deren letzte Perle die Form einer Lotusblüte, einer kleinen Kobra oder lang gezogener Tropfen hatte. Er besaß Ohrringe mit kleinen Entenköpfen, mit Geier und Kobra in ihrer Mitte und mit einem kleinen Abbild seiner selbst.
Unter der Herrschaft Tutanchamuns fanden die Künstler zwar nicht zu neuen Formen, doch sie führten das, was sie vorfanden, zu neuer Vollkommenheit. Sie gingen nicht einfach zurück in die Zeit vor Echnaton, um wieder Abbilder Pharaos von jener zeitlosen Strenge
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