Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
zurückgefallen und hätte meinen Einfluss noch mehr geschwächt. Aber eines musste auch sie spüren: dass ich nicht mit vollem Herzen bei der Sache war.
Ich hatte keine andere Wahl, als bei allen Ratsversammlungen anwesend zu sein. Allzu schnell wäre sonst offenkundig geworden, dass mein Einfluss auf meine Tochter vollends geschwunden war, und man hätte mich ins Abseits geschoben. Damit hätte ich der Zukunft meines Schützlings – wenn er überhaupt noch eine Zukunft als künftiger Herrscher hatte – mehr geschadet als genützt. So hielt ich den Schein aufrecht, noch immer der mächtige Gottesvater zu sein, nicht nur der Schatten des großen Amenophis und Echnatons, sondern auch der Semenchkares.
Ich fieberte dem Tag der Beisetzung Pharaos entgegen, sehnte mich nach dem Augenblick, da Nofretete die Stadt als alleinige Herrscherin Ägyptens verließ, um auf der königlichen Barke nach Süden zu fahren, denn erst dann brauchte ich mich nicht mehr Tag für Tag vor meiner Tochter und den Günstlingen, die sie mehr und mehr um sich scharte, zu verstellen.
Nur mit meiner Schwester sprach ich offen über das, was mir Nofretete eröffnet hatte, und Teje war die Einzige, die meine Sorgen über das künftige Schicksal Ägyptens und das Schicksal des Knaben teilte. Meine zweite Tochter Mutnedjemet war vom Glanz der königlichen Macht Nofretetes so geblendet, dass ich es vorzog, meinen Kummer vor ihr zu verbergen.
Ich tat auch gut daran, war mir doch aufgefallen, dass Rechmire, der jüngste Sohn meines Freundes Aper-el, nicht erst seit meiner Rückkehr aus der Oase Fajum ein Auge auf Mutnedjemet geworfen hatte. Die Besuche Aper-els in Begleitung seines Sohnes bei mir häuften sich, und die Abstände zwischen den Besuchen wurden zunehmend kürzer, während die vertrauten Unterhaltungen Rechmires mit meiner Tochter stets an Länge zunahmen. Ich sah es mit Wohlwollen. Gleich, wohin Rechmire nach der Bestattung Echnatons gehen würde, war Mutnedjemet bei ihm in guten Händen, denn als Stellvertreter des Palastvorstehers hatte Rechmire als erst Fünfundzwanzigjähriger gewiss eine glänzende Zukunft vor sich. Es wurde auch Zeit, dass sich für meine Tochter ein Mann fand, schließlich war sie schon zweiundzwanzig Jahre alt.
Tutanchaton schien zu ahnen, was ihm bevorstand. Selbst ihm als nur fünfjährigem Kind war nicht entgangen, dass jede Begegnung mit Nofretete vermieden, dass kein Wort mehr über seine bevorstehende Krönung gesprochen wurde. Stattdessen las ich in seinen Augen Misstrauen und Angst. Damals entdeckte ich, dass Kinder seines Alters offenbar ein viel feineres Gespür für die Gefährlichkeit bestimmter Menschen besitzen, als ich bislang geglaubt hatte. Er vermied es, so gut er nur konnte,meinen Palast und seinen Garten zu verlassen, außer wenn ich es war, der ihn begleitete. Kam in meinem Haus die Sprache auf Nofretete, zuckte er ängstlich zusammen, suchte meine Nähe oder floh unauffällig in sein Zimmer und schloss sich dort ein. Er fragte nicht mehr nach Meritaton und auch nicht nach der so sehr geliebten Anchesen-paaton, weil er fürchtete, er würde zu ihnen in den Nordpalast geschickt werden und dort auf meine Tochter stoßen. Er war so verängstigt, dass er mich mit keinem Wort mehr danach fragte, wie lange die Herrschaft Semenchkares dauern und wann er zum Herrscher Ägyptens ernannt werden würde.
Jede freie Stunde verbrachte ich mit ihm, spielte mit ihm Verstecken, Fangen und Senet, schnitzte mit ihm Wurfhölzer und kroch mit ihm sogar durch Büsche und Sträucher, um seine Schildkröte zu suchen. Wenn ich ihm Geschichten aus meinem Leben erzählte, war er ein geduldiger Zuhörer, und obwohl er während meiner langen Erzählungen stets mit einem kleinen Boot, einem faustgroßen Flusspferd aus blau glasiertem Ton oder mit hölzernen Soldaten spielte, entging ihm keines meiner Worte.
Es war ein Geschenk Gottes, dass ich rüstig und bei guter Gesundheit war. Manchmal dachte ich darüber nach, was mit dem Knaben geschehen könnte, wenn ich bald nicht mehr am Leben wäre. Würde Nofretete ihn verschonen, oder würde mein Tod auch sein vorzeitiges Ende bedeuten? Meine eigene Tochter konnte nicht so grausam sein. Nicht, wenn sie die Lehre und den Glauben Echnatons, der allen Menschen Frieden und Liebe verheißen hatte, ernst nahm. Eine Stimme tief in meinem Inneren sagte mir immer wieder und so leise, als ob ich es selbst nicht hören dürfte: «Sei vorsichtig, Eje! Sie würde es tun!» Wie
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