Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Leibkammerdiener Pentu eintraten. Liebevoll wie immer begrüßte Teje ihren Enkel, indem sie Tutanchaton auf die Stirn küsste, und sie hätte es gewiss ebenso herzlich getan, wäre Nofretete schon im Raum gewesen.
«Muss das sein?», flüsterte sie mir ins Ohr, als sich unsere Wangen zum Gruß berührten, und mir war sogleich bewusst, dass es das auffallend bescheidene Erscheinungsbild ihres Enkels war, an dem sie sich störte.
«Ja, liebe Schwester, das muss sein. Und du hättest es genauso getan.» Mehr sagte ich nicht, sondern stellte mich mit dem Prinzen neben Teje und begrüßte schweigend, nur mit einem höflichen Kopfnicken, alle, die sich vor Teje, Tutanchaton und mir ehrfürchtig verneigten.
Die unheimliche Stille, die nur vom gelegentlichen Knistern einer Fackel, dem unscheinbaren Knirschen eines Sandkörnchens, das unter eine Sandale geraten war, oder dem unterdrückten Hüsteln eines der Anwesenden gestört wurde, wurde noch beklemmender, als sich träge die schweren Torflügel neben den Königsthronen öffneten. Ich blickte in den langen Gang, der sich dahinter anschloss, und im Schein zahlloser Fackeln sah ich unter den mächtigen Figuren Echnatons die Soldaten der Leibwache, die, Schulter an Schulter aufgereiht, für ihre Herrscherin Spalier standen.
Dem Kommandanten der Leibgarde folgten der Sandalenträger Ihrer Majestät und zwei ihrer Leibdiener. Dann kam Merire, der Erste Sehende des Aton, der an seinem kahl rasierten Schädel und dem Pantherfell, das er über der linken Schulter trug, leicht zu erkennen war. Hinter ihm, zwischen zwei Wedelträgern, schritten Seite an Seite Nofretete und Meritaton. Ihnen folgten Anchesen-paaton und deren Schwestern Neferneferuaton-Tascherit, Neferneferure und Setepenre mit ihren Ammen und Erzieherinnen. Den Schluss des Zuges bildeten zwölf Soldaten der Leibgarde.
Der dumpfe Aufschlag eines Zeremonialstabes auf den Fußboden ließ alle außer Teje, Tutanchaton und mir zu Boden fallen, ehe Nofretete den Raum betrat und Merire mit lauter Stimme rief: «Verneigt Euch vor Ihrer Majestät, der Königin von Ober- und Unterägypten, geliebt von Aton, die den Namen des Aton erhebt, Semenchkare Djoserchepru-Re, Meri Waen-Re!»
Erst nachdem die königliche Familie auf ihren Thronen Platz genommen hatte, erlaubte ein erneuter dumpfer Schlag allen, dass sie sich wieder erhoben.
Nofretete trug neben den herkömmlichen Insignien ihrer königlichen Macht die hohe, oben abgeflachte Krone früherer Tage. Ohne dass auch nur ein weiteres Wort gesagt worden wäre, öffneten sich jetzt die beiden Flügel des Tores, welches zum großen Hof vor der Halle führte. Nofretete und Meritaton erhoben sich, und der kleine Trauerzug setzte sich wieder in Bewegung. Teje, Tutanchaton und ich reihten uns unmittelbar hinter meiner Tochter und ihren Kindern ein. Acha, Mahu, Aper-el, Pentu und Panehsi folgten uns. Wie zuletzt vor siebzig Tagen ruhte der Sarg Pharaos am oberen Ende der langen Treppe, eingerahmt von Soldaten der Leibgarde und von vier Kohlebecken, aus welchen sich die Weihrauchwolken schwerfällig hin und her windend nach oben quälten. Unzählige Fackeln leuchteten den Hof hell aus, sodass die Bilder der königlichen Familie, welche alle Wände zierten, gut zu erkennen waren und vor allem den toten Pharao allgegenwärtig machten. Von den Mauern des Hofs drang leiser Gesang herab zu den Trauernden und ließ uns andächtig schweigen. Als wir das obere Ende der Treppe erreicht hatten, traten die Soldaten neben den Sarg Echnatons, hoben ihn an und setzten sich in vorsichtigen Schritten in Bewegung. In der Mitte des Hofes hielten sie noch einmal an, damit Nofretete und ihre Töchter die Sänften besteigen konnten. Auch für Teje stand eine der königlichen Sänften bereit – nicht aber für Tutanchaton. Als meine Schwester dies gewahr wurde, winkte sie mich und den Knaben zu sich und sagte: «Setze ihn zu mir!»
Ich zögerte für einen kurzen Augenblick, da Tejes Vorhaben ganz offensichtlich nicht dem Willen meiner Tochter entsprach, doch als Teje mir noch einmal auffordernd zunickte, hob ich Tutanchaton zu ihr empor und sagte dabei: «Wie es sich gehört, werde ich neben dir hergehen. Du weißt ja: Wenn Pharao und seine Familie in einer Sänfte getragen werden, haben alle anderen zu Fuß zu gehen.»
«Gehörst du nicht auch zur Familie?», fragte mich Tutanchaton leise und hielt sich dabei die Hand vor den Mund, damit Teje seine Worte nicht hörte. Doch da hatte sich der Junge
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