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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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Auf drei dicken Bohlen überquerten wir vorsichtig und in kleinen Schritten den Schacht und erreichten über drei Stufen die Grabkammer. Der rechte und auch größere Teil der Kammer war einen Fuß tiefer ausgehoben als der linke Teil, an dessen Vorderkante zwei eckige Pfeiler die Decke stützten. In der Mitte des tiefer gelegenen Bereichs stand der Sarkophag aus rotem Granit. Nicht die Schutzgöttinnen Isis, Nephthys, Neith und Selket bewachten den Toten, sondern an allen vier Außenwänden war einzig der Strahlenaton abgebildet und unter ihm Echnaton und Nofretete, wie sie betend ihrem Gott die Arme entgegenstreckten. In dem höher gelegenen Teil der Kammer, zwischen den Säulen, stand ein goldener Schrein, welcher die vier Kanopen, die Eingeweidekrüge, aufnahm. Alle Deckel trugen den nachgebildeten Kopf Echnatons und nicht mehr den der vier Horussöhne Amset, Hapi, Duamutef und Kebechsenuef, die in der Gestalt eines Menschen, eines Affen, eines Schakals und eines Falken dargestellt wurden.
    Während die Arbeiter all ihre Kraft aufboten, um den Goldsarg Pharaos in den steinernen Sarkophag zu heben, stand ich mit Tutanchaton etwas abseits, hinter dem Schrein mit den Kanopenkrügen, und zeigte ihm die Bemalung der Grabkammer.
    «Alle Bilder zeigen deinen Vater und Nofretete, wie sie dem Aton Opfer bringen und ihn anbeten.»
    Auf einigen Bildern sah man auch die Töchter der beiden. Meritaton und Maketaton waren mit längeren Haaren abgebildet, während die kleinen Mädchen noch die kurze Kinderlocke trugen.
    Der Prinz zeigte mit dem Finger auf das Bild an der Südwand hinter den Säulen und flüsterte: «Meritaton, Anchesen-paaton, Neferneferuaton-Tascherit, Neferneferure und Setepenre.»
    «Das ist nicht ganz richtig. Die zweite auf dem Bild ist Maketaton, die kurz nach deiner Geburt gestorben ist. Dafür ist Setepenre nicht abgebildet.»
    «Und warum gibt es von mir kein Bild?», wollte Tutanchaton jetzt wissen.
    «Weil du, ebenso wie Setepenre, noch gar nicht geboren warst, als diese Kammer schon fertig gestellt war. Du bist aber in der Grabkammer deiner Mutter abgebildet. Dort sieht man, wie deine Amme dich auf ihren Armen trägt.»
    Quietschend und knirschend zugleich glitt der schwere Steindeckel über die Ränder der Sargwanne, bis ein dumpfes, polterndes Geräusch zu erkennen gab, dass die kurzen Steindübel in die Aushöhlungen des Granitsarkophags gerutscht waren. Eilig bauten die Arbeiter den ersten vergoldeten Holzschrein um das steinerne Grab, dann den zweiten und schließlich einen dritten. Dann zogen sie ein mächtiges, schwarzes Tuch darüber, das die Schreine unter sich vollständig verhüllte, und verließen still und unauffällig den Raum.
     
    Die einzigen Grabbeigaben, die zurückgelassen wurden, waren Uschebtis, kleine Arbeiterfiguren aus vergoldetem Holz oder aus gebranntem Ton, die den Thronnamen Echnatons trugen. Nofretete, Meritaton und Merire stellten sich vor die Westwand des Grabes und richteten ihre Blicke nach Osten, während wir alle noch einmal den großen Sonnengesang beteten. Für eine kurze Weile drangen Sonnenstrahlen bis in die Tiefe des Grabes, denn die Treppen und Rampen waren so angelegt worden, dass um die dritte Stunde des Morgens der Glanz Atons bis in die Tiefe der Sargkammer reichte und dort auf den Sarkophag Echnatons traf.
    Jetzt war es ganz still um uns, und wir verharrten regungslos, bis der letzte Lichtstrahl der Sonne gewichen war und nur nochdas dämmrige Licht unserer Fackeln den Raum spärlich erhellte. Merire verneigte sich vor dem Sarg seines Herrschers und verließ als Erster das Grab; ihm folgten Nofretete und Meritaton.
    «Sei so lieb, und hilf deiner Großmutter!», flüsterte ich Tutanchaton zu, und sogleich ergriff der Junge die Hand meiner Schwester und ging mit ihr hinaus.
    Wie schon im Grab meines Freundes Amenophis blieb ich auch hier allein zurück, versunken in Trauer und in Erinnerung an die glanzvollen Tage von Echnatons Herrschaft. Gedankenlos spielten meine Finger mit dem Siegelring Pharaos, der an meinem rechten Ringfinger steckte.
    «Er gehört dir», sagte ich und sah dabei auf den schwarz verhüllten Schrein vor mir. Ich streifte ihn langsam, zögerlich ab und legte ihn, ohne meine Blicke abzuwenden, neben mir auf den Kanopenschrein.
    «Ich wünsche dir, dass du Tag für Tag unter uns bist, so wie du es uns gelehrt hast.» Mit bebender Stimme wiederholte ich noch einmal die Verse des Sonnengangs, die ich am meisten liebte, und erst jetzt

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