Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
der Maat lebt,
den Herrn der Kronen, Echnaton,
mit langer Lebenszeit,
und für die Herrin der Beiden Länder Semenchkare Djoserchepru-Re Meri Waen-Re, die lebt und sich verjüngt
für immer und ewig.»
Ein unauffälliges Handzeichen des Ersten Sehenden genügte, und die Soldaten hoben den Sarg wieder an. Nofretete und Meritaton stiegen von ihrem Podium herab, langsam, würdevoll, mit erhobenem Haupt und starrem Blick. In derselben Reihenfolge,wie wir den Tempel betreten hatten, verließen wir ihn, und erneut empfing uns vor seinen Mauern eine schweigende Menge.
Teje ließ Tutanchaton wieder zu sich in die Sänfte steigen. Ich selbst atmete angesichts des langen Fußmarsches, der mir bevorstand, einmal tief durch und hielt mich mit der rechten Hand an der Sänfte fest, als würde mir dies die Anstrengung erleichtern.
Unser Weg führte uns erst auf der Königsstraße in nördliche Richtung, bis wir vor der nördlichen Vorstadt nach rechts abbogen und auf immer schmaler werdenden Straßen nach Osten zogen. Anders als bei der Bestattung von Echnatons Vater Amenophis säumten heute nur noch wenige Menschen den Weg vom Rand der Stadt bis zu jener Enge, die den Zugang zu jenem Tal bildet, in welchem Echnaton seine letzte Ruhe finden sollte. Mochte es sein, dass die Pest, die zwar überwunden war, aber noch immer Angst und Schrecken im ganzen Land verbreitete, die Menschen daran hinderte, nach Achet-Aton zu kommen, um ihrem Herrscher das letzte Geleit zu geben? Es mochte aber auch daran gelegen haben, dass Echnaton nicht die Verehrung und Achtung erfahren hatte wie sein mächtiger Vater, der, anders als sein Sohn, überall in den Beiden Ländern gegenwärtig war und sich nicht wie sein eigener Gefangener nur in eine einzige Stadt zurückgezogen hatte.
Auch aus den Ländern, die Ägypten untertan oder mit ihm befreundet waren, sah man kaum einen Abgesandten. Wer sollte auch kommen? Das Reich König Tuschrattas von Mitanni stand am Rand des Abgrunds, Burra-Buriyash von Babylon war durch die Streitmacht der Hethiter von Ägypten abgeschnitten, und die syrischen Städte Byblos, Qiltu und Gubla befanden sich längst in der Hand unserer Feinde aus dem fernen Hattuscha.
Wird meine Tochter Truppen in den Osten entsenden, um das Blatt noch einmal zu wenden?, dachte ich, während ich den steinigen Weg an der Seite der Sänfte emporstieg. Haremhab wartete nur darauf. Ein Zeichen, einen Wink nur brauchte Naftetazu geben, und die Streitmacht Ägyptens würde die alte Ordnung in wenigen Feldzügen wiederhergestellt haben! Die Rache Ägyptens würde wie ein Feuersturm über die Eindringlinge aus Hattuscha herfallen, und der Friede und die Gerechtigkeit Pharaos würden nach Syrien, Mitanni und Babylon zurückkehren. Doch anstelle von Edelsteinen, Türkis und Lapislazuli, statt Holz aus dem Libanon war die Pest nach Ägypten gekommen! König Burra-Buriyash von Babylon fehlte das Getreide, um ausreichend eigene und fremde Soldaten zu versorgen. Ihm fehlte auch das nötige Gold, um die Vasallen von einst, die sich auf die Seite des Hethiterkönigs Suppiluliuma geschlagen hatten, zurückzugewinnen.
Kurz bevor unser Zug den Eingang zum Gräbertal erreicht hatte, löste ich meine Hand vom Rand der Sänfte, trat zur Seite und blieb eine Weile stehen, während die, die mir gefolgt waren, an mir vorbeizogen. Ich sah auf die Stadt hinab und auf die Menschen, die nach und nach wieder in ihre Häuser zurückkehrten. Ich sah hinab auf die schönste Stadt der Beiden Länder. Ich sah auf das Gempa-Aton, auf die prunkvollen Paläste Pharaos und ihre Gärten, auf die Paläste und die Häuser seiner Untertanen, und ich sah auf den Nil mit seinen Hafenanlagen. Doch mich überkamen Zweifel, ob all das, was in den letzten Jahren geschah, richtig gewesen war oder ob es nicht den baldigen Untergang Ägyptens bedeutete.
Hatte Echnaton, hatten wir alle wirklich geglaubt, die Welt würde in Frieden leben, wenn allein Pharao nicht zu den Waffen griff? Hätten mehr Könige und Fürsten gelebt wie Echnaton, die Welt wäre wahrlich eine friedlichere gewesen. Aber was nützten die Friedfertigkeit und die Liebe, die unser König allen entgegengebracht hatte, seine Bereitschaft, immer und immer wieder zu verzeihen, wenn schon die Kampfeslust eines einzigen Kriegstreibers genügte, um Frieden und Ordnung in dieser Welt zunichte zu machen? Wäre es nicht die Pflicht gerade des Friedfertigen gewesen, den Anfängen zu wehren und mit starkemArm den
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