Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
die goldgelben Getreidefelder mit den unzähligen Mohn- und Kornblumenblüten dazwischen sowie die Obst- und Gemüsegärten an uns vorüberglitten wie in einem wunderbaren Traum.
«Ich habe dich und mich endgültig zu Feinden Nofretetes gemacht, und ich allein habe die Schuld daran.»
«Warum?», hörte ich Nassib leise fragen.
«Nofretete hat geglaubt, ich hätte dich mit nach Waset genommen, und darüber war sie so zornig, dass sie den kleinen Sessu umbringen ließ. Sie hat also geglaubt, du würdest sterben. Doch irgendwann wird sie erfahren, dass du nicht das Opfer warst, sondern ein fremder Junge. Das wird sie noch wütender machen.»
«Aber Sessu kann doch nichts dafür!», empörte sich jetzt Tutanchaton.
In Gedanken versunken schwieg ich.
«Aus Ägypten fliehen!», dachte ich bei mir, und dass ich weinte, merkte ich erst, als mich Nassib an der Hand fasste.
«Wohin werden wir fliehen?», fragte er mich, und seine Stimme klang verängstigt wie selten zuvor. Ich wusste es nicht. Ich hatte nicht die geringste Vorstellung, wohin ein Mann wie ich, den jeder Würdenträger in Ägypten kannte, mit dem Sohn Echnatons flüchten konnte.
Aber der Junge erwartete eine Antwort von mir!
«Wir gehen in eine Stadt mit gewaltigen Palästen und Tempeln», begann ich zu phantasieren.
«In eine Stadt, die von einem breiten Fluss und vielen Kanälen durchzogen ist. Die Männer dort tragen lange, schwarze Bärte, und ihre Gewänder reichen bis zum Boden. In dieser Stadt leben wunderschöne Mädchen und Frauen, die man aber kaum zu sehen bekommt – nur, wenn man sie heiraten will. Auf ihren Feldern wachsen Getreide und Obst, wie bei uns. Ihre Männer züchten die besten Pferde und die kräftigsten Rinder. Und ihre Gärten sind noch schöner als die Gärten Ägyptens. Dort wachsen Blumen, die du noch nie gesehen hast, und sie duften wie kostbarstes Salböl aus Punt. Dorthin gehen wir, Nassib.»
Nassib sah mich ungläubig an und schwieg eine Weile. Dann wandte er sich mir wieder zu und fragte: «Und wie heißt diese Stadt?»
Ich überlegte kurz und sagte: «Babylon. Babylon heißt die Stadt.»
Ich wusste natürlich nicht, ob Babylon wirklich das Ziel unserer Flucht sein würde. Aber die Beschreibung, die ich gegeben hatte und die mich jetzt selbst beeindruckte, rief meine Erinnerungen an Babylon wach, als ich, ein junger Mann noch, dorthin gezogen war, um die große Liebe meines Lebens zu finden. Eine Flucht nach Babylon bedeutete aber auch schwersten Verrat. Ich war noch immer Vorsteher der Streitwagentruppe, und auf Fahnenflucht stand der Tod. Aber als schwerste aller Strafen, die es für einen Ägypter überhaupt geben konnte, erwartete mich die Auslöschung des Gedächtnisses an mich, was die ewige Verdammnis im Jenseits bedeutete. Und strafte sich ein Ägypter nicht schon allein durch seine Flucht in ein fremdes Land selbst am allermeisten? Ich erinnerte mich der uralten Geschichte von Sinuhe, der nach einem Mordanschlag auf den Guten Gott, Pharao Amenemhat, nach Vorderasien geflohen war, weil er befürchtet hatte, man könnte ihn trotz seiner Unschuld mit dem Mord in Verbindung bringen. Obwohl er angesehen und wohlhabend wurde, war für ihn die Vorstellung, in der Fremde zu sterben und begraben zu werden, unerträglich. So wurde für Sinuhe der Befehl Sesostris’, nach Hause zurückzukehren, zur Erlösung.
Die Flucht nach Babylon konnte daher nur das äußerste Mittel sein, zu dem ich erst greifen durfte, wenn es nur noch darum ging, das Leben Tutanchatons zu schützen.
«Ist Babylon nicht sehr weit weg?», fragte mich Nassib und setzte selbst gleich nach: «Ich habe gelernt, dass es nicht in Ägypten liegt, sondern weit weg, am Euphrat.»
«Das ist wahr, Nassib. Deswegen sehen wir erst einmal, ob wir nicht an einem anderen Ort unterkommen, an welchem wir vor der Königin ebenso sicher sind wie in Babylon.»
Einen Tag vor unserer Ankunft in Achet-Aton schickte ich Ipu auf dem Landweg voraus, damit man in meinem Haus auf unserEintreffen vorbereitet war. Ich sagte ihm, dass wir erst nach Einbruch der Dunkelheit in meinem Palast eintreffen würden und dass sich alle Bediensteten so unauffällig wie nur irgend möglich verhalten sollten.
Wie Diebe schlichen Tutanchaton und ich durch meinen Garten. Wir gingen neben den Kieswegen, um jedes auffällige Geräusch, das sofort die Wachhunde hätte anschlagen lassen, zu vermeiden. Nassib ging sogleich zu Bett, während ich fast die ganze Nacht mit meinem
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