Im Land des Regengottes
will Schnaps in der Missionsstation verbieten.«
»Aha.«
»Meine Mutter wird sich besonders um die sittliche und moralische Erziehung der Dienstboten kümmern. Und ich … na, ich werde ja nur in meinen Ferien in Wupperthal sein und dann muss ich vermutlich die ganze Zeit auf meine Brüder aufpassen.« Eva seufzte.
Ob wir in Bethanien auch Dienstboten hätten, um deren moralische Erziehung sich meine Mutter kümmern müsste? Schwer vorstellbar. Ich hatte noch nie einen echten Neger gesehen. Auf Fotografien natürlich oder in Bilderbüchern. Aber noch nie in Natur.
»Meine Brüder sind eine echte Landplage. Ich bin froh, dass Stellenbosch eine reine Mädchenschule ist«, sagte Eva.
»Ach komm. Ich wäre froh, wenn ich Geschwister hätte.«
»Das sagst du jetzt.« Eva verdrehte die Augen. »Wie dein neuer Stiefvater wohl so ist?«
Freudenreich. Seit ich die Cordes kennengelernt hatte, stellte ich ihn mir ein bisschen wie Evas Vater vor. Und ein bisschen wie meinen eigenen Vater. Klug, mutig, lustig. Auch streng, wenn es nötig war. Wir waren uns so nah gewesen, mein Vater und ich. Er hatte mir nicht nur das Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht, sondern vor allem das Denken. »Denk in alle Richtungen«, hatte er immer zu mir gesagt. »Lass dich bloß nicht einschränken.«
Das war ein Grundsatz, den meine Mutter niemals verstehen würde. Im Gegensatz zu meinem Vater hatten ihre Gedanken klare Grenzen, die sie nicht einmal selber zog, sondern die sie sich von anderen auferlegen ließ. Von Pastor Krupka und der Kirche, von Frau Künstner und den anderen Kohlstraßern.
»Was hast du bloß für Ideen?«, fragte sie, wenn ich etwa laut darüber nachdachte, was beispielsweise aus einem Heiden werden würde, der in seinem ganzen Leben kein Sterbenswörtchen von Jesus Christus gehört hatte.
»Wenn er nun ungetauft stirbt, kommt er dann zu den gewöhnlichen Sündern in die Hölle?«, fragte ich. »Oder was geschieht mit einem kleinen Kind, das von seinen Eltern als Jude oder Mohammedaner erzogen wird und stirbt? Fällt es ebenfalls der ewigen Verdammnis anheim? Das wäre doch eine grandiose Ungerechtigkeit.«
»Das muss ja nun gewiss nicht deine Sorge sein«, erwiderte meine Mutter.
Auch bei Pastor Cordes hatte ich von Anfang an das Gefühl, dass er in alle Richtungen dachte wie mein Vater. Und dass ich ihn alles fragen, ihm alles sagen könnte, ohne dass er gleich die Hände über dem Kopf zusammenschlug und mit Tod, Teufel und ewiger Verdammnis drohte wie Pastor Krupka.
Jeden Morgen hielt Pastor Cordes im Kirchsaal neben dem Speiseraum eine Andacht ab. Am Anfang waren außer seiner Familie und mir nur eine Handvoll anderer Passagiere anwesend, aber dann sprach sich wohl herum, dass Pastor Cordes ein sehr eigenwilliger Prediger war. Auf jeden Fall wurde der Kirchsaal von Mal zu Mal voller. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass die Mehrzahl der Besucher nur deshalb kam, um sich hinterher über den Pastor zu entrüsten.
Er hatte ja nun auch wirklich ungewöhnliche Ansichten. In einer Predigt sprach er davon, dass kein Volk das Recht hätte, sich über ein anderes zu erheben, sein Land zu besetzen und ihm seinen Lebensraum streitig zu machen. »Die Halunken, die durch die Lande ziehen, um die Eingeborenen übers Ohr zu hauen. Erst schenken sie ihnen den Branntwein großzügig ein, ohne etwas dafür zu verlangen, und wenn die armen Teufel dann süchtig nach dem Gift sind, knöpfen sie ihnen nach und nach ihren ganzen armseligen Besitz für den Schnaps ab. Erst das Vieh, dann das Land, am Schluss versklaven sie ihre Weiber und Kinder. Und genauso schlimm wie diese habgierigen Verführer sind diejenigen, die das Diebesgut billig von ihnen erwerben, obwohl sie genau wissen, dass es nicht rechtens ist.«
Einige nickten beifällig, als er das sagte, aber die Mehrzahl verzog das Gesicht. Ein paar murrten sogar laut und verließen den Kirchsaal. Die meisten Passagiere auf der Gertrud Woermann fuhren nach Südwest, weil sie dort Land erworben hatten oder Land kaufen wollten. Und alle hatten versucht, den Preis dafür so weit wie möglich nach unten zu drücken. Nicht weil sie irgendeinen unschuldigen Hottentotten bestehlen wollten, sondern weil sie selbst arm waren.
»Was wissen Sie schon von den Dingen des Lebens«, warf einer der Siedler Pastor Cordes vor. »Sie sollten sich besser um Ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, Herr Pastor.«
»Das ist meine Angelegenheit«, gab der Pastor zurück. »Denn es geht um
Weitere Kostenlose Bücher