Im Land des Regengottes
sprang aus meiner Koje und wollte ihr nach, aber es ging nicht. Mir war so schwindlig. Und so schlecht. Ich hielt mich am Bettpfosten fest und bemühte mich, so flach wie möglich zu atmen. Wie stickig es in der Kabine war! Ich musste hier raus, an die frische Luft oder wenigstens in den Flur. Mein Morgenmantel war noch im Koffer, zusammen mit der Bratpfanne, ich schlang mir also nur das Umschlagtuch meiner Mutter um die Schultern und schlüpfte in meine Pantoffeln.
Aber nachdem ich das Zimmer verlassen hatte, bäumte sich mein Magen richtiggehend auf. Ich reckte mich, ich krümmte mich, ich schloss die Augen. Doch es half nichts, ganz egal, welche Haltung ich einnahm, die Übelkeit ließ sich nicht vertreiben, sondern nahm immer mehr zu.
»Fräulein Hauck«, hörte ich eine Männerstimme. »Du meine Güte! Geht es Ihnen nicht gut?«
Was für eine Frage. Ich öffnete die Augen, zuerst einen Spaltbreit, dann riss ich sie erschrocken auf. Vor mir stand Pastor Cordes, sein langer Körper beugte sich besorgt nach unten, sodass sein Gesicht wenige Zentimeter über meinem schwebte. Geh weg, dachte ich, lass mich in Ruhe sterben. Aber wie vorhin meine Mutter brachte auch ich nicht mehr als ein sinnloses Krächzen heraus.
»Sie sind seekrank«, stellte Cordes fest.
Dem war nichts hinzuzufügen, also versuchte ich es auch gar nicht. Trotz meiner Übelkeit war mir bewusst, wie peinlich die Situation war. Da stand ich nun, in meinem dünnen Nachthemd, mit grünem Gesicht und nackten Beinen.
»Warten Sie.« Cordes entfernte sich mit großen, zielstrebigen Schritten und verschwand in einer der Kabinen. Mit dem Rücken zur Wand ließ ich mich in die Hocke gleiten. Mein Magen blieb noch ein paar Sekunden in der Luft schweben, bevor er ebenfalls nach unten sackte. Ich starrte gegen die Wand, auf den Boden, an die Decke. Dann stand plötzlich Frau Cordes vor mir, in der einen Hand ein Becher Wasser, in der anderen ein paar Pillen. »Das wird Ihnen helfen«, versprach sie. »Die Medizin wirkt Wunder. Sie werden sehen.«
Ich schluckte die Tabletten zusammen mit etwas Wasser. Einige Minuten lang hatte ich das schreckliche Gefühl, dass alles wieder nach oben, nach draußen drängte, die Tabletten, das Wasser, der Eintopf vom gestrigen Abend und das Kompott, das es zum Nachtisch gegeben hatte. Frau Cordes strich mir sanft über den Kopf wie einem kleinen Mädchen. Plötzlich war die Übelkeit weg. So schnell konnte die beste Medizin der Welt nicht wirken. Und doch. Der Schwindel hatte sich gelegt, mein Magen stand still.
»Gut gemacht«, sagte die Pastorin leise.
Obwohl ich gar nichts geleistet hatte, fühlte ich mich auf einmal sehr stolz.
»Ich bringe Sie jetzt zurück in Ihre Kabine«, sagte Frau Cordes. »Ziehen Sie sich etwas über und gehen Sie an Deck. Die Augen fest auf den Horizont richten und tief atmen. Das ist das beste Gegenmittel.«
Bei mir wirkten Frau Cordes’ Tabletten, bei meiner Mutter führten sie jedoch zu keinerlei Besserung. Sie verbrachte die nächsten Tage abwechselnd auf dem Schiffsabort oder über dem Eimer, den ich ihr hatte bringen lassen. Ich wollte mich zu ihr setzen, aber davon wollte die Pastorin nichts hören.
»Nichts da. Wenn Sie hier unten in der Kabine bleiben, ist Ihnen doch im Handumdrehen wieder genauso übel. Gehen Sie an Deck, an die frische Luft. Ich kümmere mich um Ihre Mutter.«
Ich wusste, dass das meiner Mutter nicht recht war. In ihrem erbärmlichen Zustand wollte sie keine Fremde neben sich, aber sie war zu schwach, sich dagegen zu wehren. Wenn ich eine gute Tochter gewesen wäre, hätte ich darauf bestanden, bei ihr zu bleiben. Aber ich war keine gute Tochter, damals nicht und später auch nicht, als sie mich noch nötiger gebraucht hätte.
»Das Leben in Afrika wird bestimmt ganz anders, als wir es uns jetzt vorstellen«, warnte mich Eva. »Meine Eltern sind gut mit einem Missionar bekannt, der lange Zeit im Kapland gelebt hat. Er sagt, dass man am besten ganz ohne Erwartungen dort hinfährt. Dann wird man auch nicht enttäuscht.«
Wir lagen nebeneinander auf Liegestühlen auf dem Zwischendeck, der Himmel hatte die Farbe der grauen Wolldecken, die wir uns bis übers Kinn gezogen hatten. Immerhin regnete es gerade nicht.
»Was erzählt euer Bekannter denn?«, fragte ich.
»Dass die Eingeborenen so naiv sind wie Kinder. Liebenswert und freundlich, jedenfalls die meisten. Aber eben auch leicht verführbar. Man darf ihnen keinen Alkohol geben, sagt er. Mein Vater
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