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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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die Armseligen und Entrechteten.«
    Mein Vater und Pastor Cordes hätten sich blendend verstanden, da war ich mir ganz sicher. Schließlich war mein Vater genauso ein Querkopf gewesen wie der Pastor. Und ich hatte diese Eigenschaften von ihm geerbt.
    Bei den Andachten und Gottesdiensten saß ich immer in der ersten Reihe und sog jedes Wort förmlich in mich auf. Bertram und ich würden alles anders machen als die anderen, das beschloss ich auf der Gertrud Woermann. Auf unserer Farm würden wir keinen ausbeuten, sondern uns verantwortungsvoll wie Eltern um unsere Neger kümmern. Die Kinder würden wir zum Schulbesuch anhalten, die Frauen in der Haushaltsführung unterrichten, Schnaps und Branntwein wären auf unserem Land verboten. Unter dem Segen Gottes würde unsere Farm blühen und gedeihen.
    Ich träumte meinen Traum von Afrika. Bald würde ich aufwachen.
    Auch als es meiner Mutter besser ging, verbrachten Eva und ich viele Stunden auf den Deckstühlen. Es gab ja nichts zu tun. Keine Näharbeiten, die erledigt werden mussten, keine Fußböden, die man schrubben, oder Fenster, die man putzen musste. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich grenzenlos Zeit und nicht einmal meine Mutter konnte mich dafür schelten, dass ich sie mit Müßiggang und Nichtstun verschwendete.
    Tag für Tag wurde es wärmer. So langsam und allmählich, dass ich es nicht einmal richtig zur Kenntnis nahm.
    »Wir haben heute unsere Mäntel in den Lagerraum gebracht«, sagte Eva eines Morgens. »Herrlich, nicht wahr?« Sie blinzelte in die Sonne, die schräg über dem Schiff am Himmel stand wie ein weißgelber Klecks Honig auf einem blauen Teller. Auf ihrer Nase und auf ihren Wangen bildeten sich jeden Tag mehr Sommersprossen. Ich fand sie niedlich, Eva fand sie furchtbar. »Irgendwann sind es so viele, dass sie sich zu einem gleichmäßigen Braun zusammenfügen, dann sehe ich selbst aus wie ein Kaffer 5 «, jammerte sie.
     
    Eva und ich redeten über so viele Dinge in jenen Tagen und Wochen. Über Dinge, die ich Trude gegenüber nicht einmal im Traum erwähnt hätte. Ich erzählte Eva sogar von Bertram und zeigte ihr seinen Ring.
    »Was, du bist verlobt?«, fragte sie aufgeregt. »Und deine Mutter weiß nichts davon?«
    »Niemand weiß davon. Außer dir!«
    »Also, das ist ja …« Eva schüttelte den Kopf. »Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.« Sie unterbrach sich und starrte auf die schnurgerade Linie des Horizonts, die das dunkelblaue Meer vom hellblauen Himmel trennte. »Eine Verlobung«, fuhr sie dann nachdenklich fort. »Das ist romantisch. Aber bist du dir wirklich sicher … ich meine, woher weißt du, dass er der Richtige ist?«, fragte sie. »Bis dass der Tod euch scheidet – das ist eine lange Zeit.«
    »So etwas spürt man eben«, erwiderte ich.
    Einen Tag bevor wir nach Hamburg aufgebrochen waren, hatte ich Bertram noch auf der Wiese hinter der Kohlstraßenkapelle getroffen.
    »Schreibst du mir?«, hatte er mich gefragt.
    »Gleich, wenn wir angekommen sind.«
    »Nein, vorher«, widersprach er. »Schreib mir vom Schiff aus. Ich will jeden Tag einen Brief.«
    »Aber ich glaube nicht, dass sie während der Schiffsreise Briefe versenden.«
    »Hauptsache, du schreibst mir. Du kannst die Briefe ja sammeln und hinterher zusammen abschicken.«
    Ich lachte. »Und du?«, fragte ich dann. »Schreibst du mir auch jeden Tag?«
    »Über mich wird es wenig zu berichten geben. Aber wenn du es willst, schreib ich dir. Dann erwartet dich ein Stapel Briefe, wenn du in Bethanien ankommst. Du musst sie aber auch alle lesen.«
    Das versprach ich ihm und danach küsste er mich.
    Es war ein sehr zarter vorsichtiger Kuss. Weil ich so erschrocken zusammenfuhr, als sich sein Gesicht dem meinem näherte, traf er mich auch nicht richtig auf den Lippen, sondern nur auf dem rechten Mundwinkel. Aber wenn ich die Augen schließe und mich konzentriere, dann kann ich ihn dort heute noch spüren.

 
5
     
    Gertrud Woermann, den 7. Februar 1900
     
    Lieber Bertram,
     
    nun sind wir schon über eine Woche an Bord und jetzt erst schreibe ich Dir. Du darfst aber nun nicht denken, dass sich meine Gefühle für Dich verändert haben. Im Gegenteil, ich denke mehr denn je an Dich.
    Es ist nicht so, dass ich nicht zum Schreiben käme. Im Gegenteil, so eine Schiffsreise ist mitunter recht fad. Im Grunde verläuft ein Tag wie der andere. Ich habe aber auf dem Schiff eine Missionarsfamilie kennengelernt, die auf dem Weg ins Kapland ist. Eva Cordes, die Tochter,

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