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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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den Schultern zuckte.
     
    Während wir den Tee tranken und die belegten Brote aßen, erzählte Herr Freudenreich von der Lungenseuche, die einem Großteil der Rinder der Station das Leben gekostet hatte. Und dass man nun neues Vieh besorgen müsste, was angesichts der hohen Rinderpreise eine Zumutung sei. Außerdem sei es viel zu trocken für die Jahreszeit. Meine Mutter seufzte und nickte. Danach redeten wir kein Wort mehr. Selbst Fräulein Hülshoff schwieg, vielleicht grübelte sie darüber nach, ob sie nicht doch besser in Swakopmund geblieben wäre.
    »Wie lange leben Sie schon in Afrika?«, fragte meine Mutter den Missionar endlich.
    »Dreiundzwanzig Jahre«, gab er zurück. »Seit sechs Jahren in Bethanien.« Dann schwieg er wieder.
    Ich kaute das trockene, dunkle Brot, das dünn mit Margarine bestrichen war, und dachte über Petrus nach. Wenn er wirklich Deutsch sprach, wie Freudenreich sagte, warum hatte er dann die ganze Zeit so getan, als könnte er uns nicht verstehen? Vielleicht wollte er uns belauschen. Wenn wir gewusst hätten, dass er unsere Sprache beherrscht, hätten wir uns nie und nimmer so offen über alles ausgetauscht.
    Nachdem wir unseren Tee getrunken hatten, räumte Susanna den Tisch ab.
    »Sie kommen«, befahl sie Fräulein Hülshoff. »Ich zeige, wo schlaft.«
    Fräulein Hülshoff erhob sich. »Alsdann. Ich werde mich direkt zurückziehen, wenn Sie mich entschuldigen wollen. Vielen Dank für die freundliche Aufnahme und das Mahl.«
    »Sie werden sicherlich ebenfalls müde sein«, sagte Freudenreich zu meiner Mutter.
    Sie nickte erleichtert.
    »Dann möchte ich mich jetzt verabschieden.« Er räusperte sich. »Ich habe mir übrigens erlaubt, die Hochzeit für den 2. April anzusetzen. Es wird natürlich nur eine schlichte Zeremonie, das versteht sich von selbst.«
    Meine Mutter nickte erneut. »Natürlich.«
    Bis zum 2. April waren es weniger als zwei Wochen. Herr Freudenreich verlor wirklich keine Zeit, dabei kannten er und meine Mutter sich doch noch gar nicht.
    Nun stand er auf und reichte uns die Hand. »Susanna wird Ihnen alles zeigen, was Sie benötigen. Gute Nacht.«
    Er war schon fast an der Tür, als mir plötzlich Bertram wieder einfiel. »Sagen Sie, ist in den letzten Wochen vielleicht Post für mich angekommen?«, fragte ich zögernd. »Aus Elberfeld?«
    Als er mich ansah, fiel mir zum ersten Mal die eigenartige Farbe seiner Augen auf. Sie waren goldbraun wie dunkler Bernstein. Raubtieraugen, die überhaupt nicht zu seinem alten, faltigen Gesicht passten. Dieser Blick! Er schien durch meine Augen in meinen Kopf zu dringen. Und was entdeckte er dort? Alle meine Geheimnisse? Dinge, von denen ich selbst nichts wusste? Ich schaute zu Boden.
    »Nichts ist angekommen«, sagte Freudenreich.
     
    Bethanien, den 27. März 1900
     
    Lieber Bertram,
     
    eine ganze Woche sind wir nun schon hier in Bethanien, aber die Zeit ist so rasch verflogen, dass ich noch nicht dazu gekommen bin, Dir zu schreiben.
    Leider hat mich noch keiner von den Briefen erreicht, die Du mir hoffentlich geschrieben hast. Vielleicht sind sie ja noch unterwegs. Hoffentlich sind sie nicht verloren gegangen. Es passiert oft, dass Post auf dem Weg von Deutschland nach Deutsch-Südwestafrika verloren geht, sagt Susanna.
    Susanna ist Herrn Freudenreichs Haushälterin – und die Herrin über die Missionsstation. Jedenfalls was die Dinge angeht, die den Haushalt und die Landwirtschaft betreffen. Nun kannst Du Dir sicher vorstellen, dass das für meine Mutter nicht einfach ist. Wann immer sie eine Entscheidung trifft, und sei es auch nur, was es am nächsten Tag zum Mittagessen geben soll, stellt Susanna alles wieder infrage und am Ende werden die Dinge genau so gemacht, wie Susanna es möchte – und meine Mutter guckt in den Mond.
    Das Schlimme ist, dass Susanna natürlich zumeist auch noch recht hat. Immerhin kennt sie das Land und die Leute und ist hier aufgewachsen, während für meine Mutter und mich alles Neuland ist.
    Meine Mutter scheint sich inzwischen mit der Situation abgefunden zu haben, zumindest versucht sie kaum noch, gegen Susannas Herrschaft anzugehen. Sie sitzt den ganzen Tag in der Stube und stopft Freudenreichs Strümpfe oder bestickt Taschentücher, als ob in dieser Umgebung irgendjemand bestickte Taschentücher bräuchte.
    Mich scheint Susanna als eine Art Dienstmagd zu betrachten, im Rang ein bisschen über den Nama-Mädchen angesiedelt, aber nicht weit. Sie beschäftigt mich den ganzen Tag.

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