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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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Unterrichtsstunden lieber Fräulein Hülshoff.
    Sie war in diesen ersten Wochen in Bethanien mein einziger Halt. Tagsüber saß sie meist im Schatten des Kameldornbaumes hinter dem Ziegenstall und las. Um sie herum pickten die Hühner im Wüstensand nach Insekten.
    »Wo nehmen Sie eigentlich Ihre ganze Lektüre her?«, fragte ich sie einmal. »Oder lesen Sie die gleichen Bücher immer wieder? Dann müssten Sie sie inzwischen doch fast auswendig kennen.«
    »Ein gutes Buch kann man mehr als einmal lesen und findet doch immer wieder etwas Neues darin«, gab sie zurück.
    Sie wirkte stets zufrieden und ausgeglichen. Wenn ich mich über Susanna beschwerte oder über meine Mutter klagte, die alles mit sich machen ließ, dann versuchte Fräulein Hülshoff, mich zu besänftigen. »Ihre Mutter ist ja nun Herrn Freudenreichs Frau, da muss sie sich mit ihm arrangieren. Wenn sie ständig aufbegehrte, gäbe es doch den lieben langen Tag nur Streit. Nehmen Sie es gelassen, in ein paar Jahren verlassen Sie die Station und fangen ein eigenes Leben an.«
    Und Sie?, hätte ich gerne gefragt. Wann fangen Sie Ihr eigenes Leben an? Aber natürlich stellte ich die Frage nicht. Was hätte mir Fräulein Hülshoff auch antworten sollen? Ohne Freudenreichs Hilfe fand sie keine neue Anstellung. Und ohne neue Anstellung kam sie aus Bethanien nicht weg.
    Doch der Missionar schien keinerlei Anstrengungen zu unternehmen, sie irgendwohin zu vermitteln. Es war, als ob er völlig vergessen hatte, dass sie überhaupt da war. Dabei hätte man sie auch in Bethanien hervorragend beschäftigen können. Weil Freudenreich sich als Missionar um so viele Dinge zu kümmern hatte, fiel der Schulunterricht für die Nama-Jungen allzu häufig aus.
    »Siewären doch eine perfekte Lehrerin für die kleinen Hottentotten«, sagte ich zu Fräulein Hülshoff. »Und im Unterschied zu mir und meiner Mutter wäre es für Sie bestimmt ein Leichtes, die Nama-Sprache zu erlernen. Warum schlagen Sie meinem Stiefvater das nicht einmal vor?«
    Sie lächelte milde. »Das habe ich doch schon längst getan.«
    Er hatte abgelehnt. Offensichtlich hatte er Susanna Anweisung gegeben, Fräulein Hülshoff ebenfalls zu ignorieren. Denn im Gegensatz zu mir ließ man sie nicht einmal im Haushalt mitarbeiten. Gleichwohl bot sie ihre Hilfe immer wieder aufs Neue an.
    »Ich könnte die Gartenarbeit übernehmen«, schlug sie vor. »Oder Fenster putzen«
    »Lassen Sie nur«, sagte Susanna, ohne sie dabei anzusehen. »Wir schaffen schon allein.«
     
    In ein paar Jahren verlassen Sie die Station, hatte Fräulein Hülshoff zu mir gesagt. Als ob das nichts wäre, ein paar Jahre. Ich fand es unvorstellbar, so lange in Bethanien zu bleiben. Ich musste vorher einen Ausweg finden.
    »In Stellenbosch im Kapland gibt es ein Pensionat für Missionarstöchter«, erzählte ich beim Mittagessen. »Haben Sie schon einmal davon gehört?«
    Die Frage war an Herrn Freudenreich gerichtet. Obwohl er mir nach der Hochzeit angeboten hatte, dass ich ihn nun Vater nennen könnte, blieb ich doch weiterhin beim förmlichen Sie und bei der Anrede Herr Freudenreich. Alles andere wollte mir einfach nicht über die Lippen. Vielleicht fühlte er sich deshalb nicht angesprochen, jedenfalls aßer seine Süßkartoffeln weiter und schwieg. Auch meine Mutter reagierte nicht. Nur Fräulein Hülshoff zuckte mit den Schultern.
    »Vielleicht wäre das ja etwas für uns beide«, wagte ich mich noch weiter vor. »Ich als Schülerin und Sie als Lehrerin.«
    Nun hob sie den Kopf.
    Freudenreich dagegen beugte sich noch tiefer über seinen Teller.
    »Die Schule wird von der Rheinischen Missionsgesellschaft betrieben«, ergänzte ich. »Vielleicht könnte man einmal anfragen, wie die Aufnahmebedingungen aussehen.«
    Freudenreich aß weiter. Ich hatte auf einmal den fast unwiderstehlichen Drang, mit meinen Fingern gegen seinen kahlen Hinterkopf zu klopfen. Guten Tag! Wohnt hier jemand? So wie unser Lehrer in der Volksschule es immer gemacht hatte, wenn einer von uns Schülern nicht richtig aufgepasst hatte. Aber natürlich beherrschte ich mich.
    »Man kann dort nämlich eine Ausbildung zur Kleinkinderlehrerin machen«, schob ich nun hinterher, und jetzt blickte Freudenreich doch endlich auf.
    »Und wozu sollte das gut sein, eine solche Ausbildung?«, fragte er. Seine braungelben Raubtieraugen glitzerten drohend. »Dann bildest du dir ein, dass du etwas weißt und bist stolz darauf. Aber meinst du, dass dich danach noch ein Mann heiraten

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