Im Land des Regengottes
Hunger.
Der alte Mann schüttelte missbilligend den Kopf. Dann wandte er sich um und ging zum Haus, im Weggehen winkte er mir, ihm zu folgen. Ich zögerte. Was wollte er von mir? Ich hatte nichts, was ich ihm geben konnte und wir konnten uns auch nicht verständigen. Er schnalzte zweimal ärgerlich mit der Zunge. Ich unterdrückte ein weiteres Gähnen, zuckte mit den Schultern und schlurfte ihm nach. Sei’s drum. Ich hatte nichts mehr zu verlieren, außer meinem Leben natürlich. Aber der Alte wirkte nicht gerade wie ein Meuchelmörder.
In der Hütte kniete die alte Frau vor einer Feuerstelle, deren Rauch die ganze Kammer füllte. Sie rührte in einem Kessel, aus dem ein köstlicher Geruch strömte. Die beiden wechselten ein paar Sätze, dann griff sie nach einer Holzschale und füllte sie mit Brei aus dem Kessel. Schweigend reichte sie mir die Schüssel.
Ich war mit einem Mal so hungrig, dass ich vermutlich auch über getrocknete Käfer oder gebratene Schlangen hergefallen wäre. Es war aber Maisbrei in der Schüssel, gelb, dick und leicht bitter. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie etwas Köstlicheres gegessen hatte. Im Handumdrehen war die Schüssel leer.
»Danke, vielen Dank!«
Ich gab ihr die leere Schüssel zurück und hoffte, dass sie mir noch eine zweite Portion anbieten würde, aber sie lachte nur und wedelte mit beiden Händen in Richtung Ausgang, als wollte sie mich wegscheuchen. Also ging ich wieder in den Hof, wo der Mann inzwischen den Esel angespannt hatte.
»Nach Keetmanshoop?«, fragte ich, obwohl ich doch genau wusste, dass er mich nicht verstehen konnte.
Er nickte und lachte. »Bittschen«, sagte er und wies auf den Wagen.
Wir fuhren aber nicht nach Keetmanshoop. Als wir den Hof verließen, lenkte der Alte den Ochsen wieder zurück in Richtung Bethanien.
»Aber das ist der falsche Weg!«, rief ich empört.
Der Alte zog seine Pfeife aus der Tasche und begann sie zu stopfen. Ich hätte natürlich vom Bock springen können. Von den Soldaten drohte mir um diese Stunde bestimmt keine Gefahr. Nach ihrem Besäufnis in der Nacht zuvor lagen sie wahrscheinlich noch im Tiefschlaf. Ich hätte meine Wanderung nach Keetmanshoop ungehindert fortsetzen können. Vielleicht lag mein Reisebündel sogar noch an der Stelle, an der ich es gestern hatte fallen lassen.
Ich blieb aber sitzen. Meine Füße waren voller Blasen und Dornen, meine Beine brannten und ich spürte jeden einzelnen Knochen in meinem Körper. Obwohl meine Reise gerade erst begonnen hatte, war ich mit meiner Kraft am Ende. Ich blieb sitzen und fuhr zurück zu Freudenreich, den ich hasste und der mich hasste und mich nach meiner Flucht noch viel mehr verachten würde.
Ich fuhr zurück in die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung.
Ich war gescheitert.
Je mehr wir uns Bethanien näherten, desto trüber wurde meine Stimmung. Der alte Baster neben mir schwieg und rauchte seine Pfeife. Wenn ich mich ihm nur hätte verständlich machen können, vielleicht hätte ich ihn überreden können, mich nach Keetmanshoop oder sogar nach Warmbad zu bringen. Aber vermutlich hätte er mich genauso zurückgewiesen wie Petrus.
»Die Wesensart der Hottentotten unterscheidet sich doch sehr stark von der der Deutschen«, hatte Fräulein Hülshoff mir einmal erklärt. »Sie sind wie kleine Kinder, denen die Fähigkeit zum abstrakten Denken vollkommen abgeht. Alles, was über die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse hinausgeht, übersteigt ihren Horizont. Sie haben auch keinen besonderen Ehrgeiz, ihre Lebensumstände zu verbessern. Solange man sie nicht bedroht und sie einigermaßen satt werden, sind sie zufrieden.«
Das war auch der Grund, warum Petrus nicht hatte begreifen können, dass ich Bethanien verlassen wollte. Es ging mir doch gut, dachte er, ich hatte ein Dach über dem Kopf und litt keinen Hunger, was wollte ich da in der Ferne! Ich merkte, wie die Wut wieder in mir zu brodeln begann. Es wäre wirklich ein Leichtes für ihn gewesen, mir zu helfen, aber nein, aus Feigheit und Beschränktheit hatte er es abgelehnt.
»Ho!« Der Alte schnalzte mit der Zunge, zog die Zügel an und lenkte den Ochsen ein Stück nach links, sodass der Wagen in den losen Sandboden neben dem Weg holperte.
Auf der schmalen Straße kam uns ein Ochsenwagen entgegen. Auf dem Bock saß ein Hottentotte mit einem Filzhütchen. Er trug eine viel zu kleine Damenbluse, deren Ärmel ihm gerade einmal bis zu den Ellenbogen reichten. Seine
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