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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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von mir. Selbstmord war eine Todsünde. Nur Gott allein hatte das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden. Wer sich selbst entleibt, der landet in der Hölle. Das sagte zumindest Pastor Krupka, und Herr Freudenreich würde ihm ganz ohne Zweifel beipflichten.
    Sei stark, Jette, hörte ich in meinen Gedanken meine Mutter sagen. Dein Leben ist weder elend noch unerträglich. Vertrau auf Gott, dann wird sich schon alles zum Besten wenden. Ausgerechnet du willst mir Mut machen, dachte ich bitter. Du warst selbst nicht stark, sondern hast mich einfach im Stich gelassen.
    Wenn meine Mutter wenigstens versucht hätte, gegen ihr Schicksal anzukämpfen! Wenn sie sich einmal gegen Freudenreichs Selbstgerechtigkeit aufgelehnt hätte, anstatt sofort klein beizugeben. Aber sie hatte sich in ihre Schwindsucht fallen lassen wie in ein weiches Kissen.
    Neben mir zog Petrus die Zügel an und brachte die Ochsen zum Stehen.
    »Was ist los?«, fragte ich feindselig. »Warum fährst du nicht weiter?«
    »Muss uberlegen.«
    »Ach ja? Und was überlegst du? Hast du den Weg zur Station vergessen? Da vorne liegt sie, du hast es gleich geschafft.«
    »Fraulein unglucklich. Will nicht zurück in Bethanien. Aber wann spaziert allein durch Namaland, jemand macht Fraulein tot.«
    »Du sagst es«, meinte ich bitter. »Also. Was schließt du daraus?«
    Er überhörte meinen Spott. »Wann Fraulein will, ich bring zu meine Leute.«
    »Zu deinen Leuten? Was meinst du damit?«
    »Nama-Volk. Stamm, wo Petrus gewachsen.«
    Stamm, wo Petrus gewachsen. War das sein Ernst? Wollte er mich wirklich zu seiner Hottentottenfamilie bringen? Sein dunkler Blick ruhte auf meinem Gesicht. Er wartete auf meine Antwort. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich wusste nichts über die Eingeborenenstämme der Umgebung. Wenn Petrus’ Angehörige nun Menschenfresser waren, die ein weißes Mädchen als besonderen Leckerbissen betrachteten?
    »Du keine Angst«, sagte Petrus, als könne er Gedanken lesen. »Sin’ gute Leut’.«
    Sin’ gute Leut’. Ganz im Gegensatz zu Freudenreich und Susanna. Was hatte ich noch zu verlieren? Das Leben nehmen konnte ich mir bei den Eingeborenen genauso gut wie auf der Missionsstation.
    »Also gut«, sagte ich mit einer leicht zitternden Stimme. »Ich will es versuchen.«
    Statt einer Antwort schnalzte er mit der Zunge. Wir bogen nach rechts ab und ließen Bethanien links liegen.
     
    »Erzähl mir etwas über deinen Stamm«, forderte ich Petrus auf. »Was muss ich wissen?«
    Er öffnete den Mund, um zu antworten, dann machte er ihn wieder zu, lächelte und schüttelte den Kopf. »Das wirst du schon sehen.«
    Ich wollte gerade weiterbohren, als mir plötzlich bewusst wurde, was er da gesagt hatte. Oder vielmehr: Wie er es gesagt hatte.
    Das wirst du schon sehen.
    Zum ersten Mal antwortete er in einem richtigen deutschen Satz, anstatt in seinem üblichen Hottentotten-Gestammel. Vielleicht war es nur ein Zufall. Vielleicht hatte er die vier Worte irgendwo aufgeschnappt und benutzte sie nun wie eine Floskel. Andererseits …
    Ich musste plötzlich wieder an unsere Reise von Swakopmund nach Bethanien denken. Von Anfang an hatte Petrus so getan, als verstünde er uns nicht. Auf diese Weise hatte er uns die ganze Zeit belauschen können. Auch nachdem ich von Freudenreich erfahren hatte, dass Petrus sehr wohl Deutsch sprach, hatte er weiterhin den Narren gespielt. Petrus nix weiß. Petrus nix versteht. Und jetzt auf einmal dies. Ein kurzer, knapper, richtiger Satz. Du wirst schon sehen.
    »Petrus«, sagte ich. »Warum machst du mir etwas vor?«
    Seine Augen schienen noch dunkler zu werden. Schwarz wie zwei Löcher, in deren Untiefen kein Licht vordrang. Er schwieg so lange, dass ich glaubte, er habe meine Frage nicht gehört. Aber dann antwortete er doch. »Ihr Weißen wollt einen Trottel. Also bekommt ihr einen Trottel. So einfach ist das.«
    »So einfach ist das?«, wiederholte ich ungläubig. »Aber kein Mensch, der einigermaßen bei Verstand ist, gibt sich dümmer, als er ist.«
    »Nein?«, wiederholte er spöttisch. »Ich erzähle dir eine Geschichte.« Er sprach, ohne mich dabei anzusehen, die Augen auf den Rücken des Leitochsen gerichtet. Er redete langsam, konzentriert. Seine Sätze waren mitunter eigenartig verdreht, manchmal fehlte auch das eine oder andere Wort, aber es war ein klares schönes Deutsch.
    Er erzählte, dass er als Junge in Bethanien auf die Missionsschule gegangen war. »Damals war Herr Freudenreich noch nicht da.

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