Im Land des Regengottes
nackten, dürren Beine ragten aus knielangen grauen Reiterhosen. Er war genauso angezogen wie Petrus, als ich ihn das erste Mal in Swakopmund gesehen hatte.
Es war ja auch Petrus.
Nein, das bildete ich mir ein. Gerade hatte ich an ihn gedacht und nun kam er uns hier entgegen. Das konnte nicht sein. Der Kerl, der aussah wie Petrus, riss die Augen auf.
»Fraulein Jette!«, rief er.
»Was machst du denn hier?«, gab ich zurück.
Freudenreich hatte ihm aufgetragen, mich zu suchen.
»Alle suchen uberall«, sagte Petrus, als ich neben ihm auf dem Bock saß. Der alte Hottentotte war mit sichtlicher Erleichterung allein weitergefahren, als Petrus ihm erklärt hatte, dass wir uns kannten. »Herr Freudenreich große Angst.«
»Ach was, Angst«, winkte ich ab. »Freudenreich doch nicht.«
Petrus schüttelte den Kopf, aber er widersprach nicht. Offensichtlich hatte er keine Lust auf eine neue Diskussion mit mir.
»Bitte, Petrus«, begann ich leise. »Nun sitzen wir doch schon einmal im Wagen. Bring mich nach Keetmanshoop und sag Freudenreich hinterher, dass du mich nicht finden konntest. Das ist doch kein Risiko für dich und für mich bedeutet es die Freiheit.«
Er schüttelte wieder den Kopf. Oh, dieser sture Esel!
»Was will machen in Keetmanshoop?«, fragte er nach einer Weile. »Kein Geld, kein Mensch, was hilft. Vielleicht kommt Mann, schlagt tot Fraulein Jette.«
Ich musste wieder an die betrunkenen Soldaten denken und schauderte. »Aber ich muss doch nur jemanden finden, der mich mit nach Warmbad nimmt.« Nur. Als ob das so einfach wäre. Ich hatte es ja nicht einmal geschafft, von Bethanien nach Keetmanshoop zu kommen. Und der Weg nach Warmbad war noch um vieles länger und gefährlicher.
Petrus schüttelte den Kopf. »Ich nix fahr Keetmanshoop. Nix weil Sorge um Herr Freudenreich. Weil Sorge um Fraulein.«
»Also gut.« Ich nickte langsam. »Wenn du mich nach Bethanien zurückbringst, dann bleibe ich vielleicht eine Woche dort. Vielleicht auch zwei oder einen ganzen Monat. Aber dann laufe ich wieder fort. Ich weiß, dass es gefährlich ist, ich weiß, dass es mich vielleicht sogar das Leben kostet. Aber ich kann es dort nicht aushalten.«
»Warum?«, fragte Petrus verständnislos.
Einen Moment lang überlegte ich, ob ich ihn anlügen sollte. Ich hätte ihm erzählen können, dass Freudenreich meine Mutter umgebracht hatte und dass er auch mir nach dem Leben trachtete. Wenn es mir gelungen wäre, Petrus davon zu überzeugen, hätte er mich ganz bestimmt nach Keetmanshoop gebracht. Aber dann fiel mir die andere Lüge wieder ein, die ich damals auf der Kohlstraße meiner Mutter erzählt hatte. Dass Rudolf mich belästigt hätte und ich deshalb nicht auf den Kratzkopp wollte. Diese Lüge hatte mir zwar das Dienstbotenschicksal erspart und uns nach Afrika gebracht, aber sie hatte meine Mutter in den Tod getrieben. Nun ging es mir elender als jemals zuvor in meinem Leben. Es war nichts Gutes aus der Lüge entstanden und es würde auch nichts Gutes aus einer neuen Lüge entstehen. Deshalb entschloss ich mich, die Wahrheit zu sagen.
»Ich bin so einsam. Fräulein Hülshoff ist weg, meine Mutter ist tot. Freudenreich verachtet mich. Ich hasse ihn.« Den letzten Satz stieß ich mit einer solchen Leidenschaft und Wut hervor, dass ich selbst erschrak.
Petrus sah mich nachdenklich an. Einen Moment lang hatte ich die unsinnige Hoffnung, dass er mich doch verstanden und seine Meinung geändert haben könnte. Aber dann hob er seine Peitsche und ließ sie durch die Luft schnalzen. Die Ochsen setzten sich in Bewegung. Der Wagen fuhr an.
Als die ersten Häuser von Bethanien hinter den Sanddünen auftauchten, bildete sich in meinem Hals ein dicker Klumpen, den ich nicht hinunterschlucken konnte. In wenigen Minuten würden Freudenreich und ich uns wieder gegenüberstehen. Ich stellte mir sein Gesicht vor, die Mischung aus Missbilligung und Triumph in seinen Raubtieraugen. Vielleicht würde er mich mit einem Bibelzitat empfangen, vielleicht würde er auch nur verächtlich schweigen. Und Susanna? Auch sie würde mich meine Niederlage spüren lassen, Tag für Tag aufs Neue.
Das Schlimmste war, dass ich diesem Elend nicht entkam. Ich konnte nicht nach Deutschland zurück, ich kam nicht einmal bis Warmbad, das wusste ich jetzt. Es gab keinen Ausweg. Außer dem Tod. Aber im Gegensatz zu meiner Mutter war ich jung und kräftig und würde so schnell nicht sterben. Es sei denn …
Ich schob den Gedanken mit aller Macht
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