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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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Gott mir zukommen ließ, weil ich meine Mutter im Stich gelassen hatte. Dass mich jetzt die Soldaten beschimpften und erniedrigten. Ich hörte, wie sie den Kutscher wieder weiterfahren ließen. Wie der Wagen immer näher kam. Ich drehte mich nicht zu ihnen um, ich ging einfach weiter. Gleich hatten sie mich erreicht, dann würden zwei von ihnen vom Wagen springen und mich zu Boden zerren und dann …
    »Nun ist es so gekommen, wie ich es vorausgesehen habe«, sagte Freudenreich.
    »Fraulein is’ dumm, will nix hören«, sagte Susanna.
    »Das war ja abzusehen«, sagten Frau Künstner und Rosa und Pastor Krupka.
    Die Schande, die Schande, die Schande, die Schande.
    Aber das Ochsengespann hielt nicht an, der Wagen ratterte an mir vorbei. Als er am Horizont verschwand, begann ich zu weinen.
     
    Der Felsen war aufgebrochen. Die Wasserströme erhoben sich und drängten aus den Rissen und Spalten meines versteinerten Wesens. Als es einmal losgegangen war, ließ es sich nicht mehr aufhalten.
    Ich saß im Schatten eines Kameldornbaumes und weinte. Ich weinte um meine Mutter, die für mich bis ans Ende der Welt gegangen war, die für mich gestorben war, und ich hatte mich nicht einmal von ihr verabschiedet. Ich weinte um das, was ich verloren hatte, und über das, was mich erwartete.
     
    Niemand tröstete mich. Aber es störte mich auch keiner in meiner Trauer. Das Land war so leer und einsam. Erst viele Stunden später kam ein Eselskarren vorbei. Diesmal saß ein altes Basterpaar auf dem Kutschbock.
    »Nach Keetmanshoop?«, fragte ich, als sie schon fast an mir vorbei waren. »Nehmt ihr mich ein Stück mit?«
    Die beiden wechselten einen ratlosen Blick. Offensichtlich verstanden sie kein Deutsch. Der Mann hielt den Wagen aber trotzdem an und ließ mich aufsteigen.
    Dankbar kletterte ich zu ihnen hoch.
    »Wohin fahrt ihr?«, versuchte ich es noch einmal.
    Schulterzucken. Die Frau begann in einem Hottentotten-Kauderwelsch 10 auf mich einzureden. Der Mann versuchte es auf Kapholländisch. Ich verstand natürlich ebenfalls kein Wort.
    »Ich spreche eure Sprache nicht.«
    Das amüsierte sie offensichtlich, sie klatschte in die Hände und lachte übers ganze Gesicht, sodass man sah, dass sie nur noch vier Zähne im Mund hatte. Machte sie sich über mich lustig oder war sie schwachsinnig? Egal. Der Wagen fuhr und meine schmerzenden Füße und müden Beine konnten sich ausruhen. Alles andere war jetzt völlig gleichgültig.
    Der Mann zündete sich eine Pfeife an. Auch die Frau kramte eine Pfeife aus der Tasche und stopfte sie. Nachdem sie ein paar Züge genommen hatte, bot sie sie mir an.
    »Vielen Dank«, lehnte ich hastig ab. »Ich rauche nicht.«
    Sie lachte wieder und stieß dabei den Mann in die Seite, der ebenfalls amüsiert kicherte. Der Pfeifentabak roch blumig und süß, ganz anders als der Tabak, den Bertram immer rauchte. Mit einem Mal spürte ich eine solche Sehnsucht nach ihm, dass mir erneut die Tränen kamen. Ich kaute auf meiner Trauer herum wie die alte Frau auf ihrem Pfeifenstiel.
    Als die Fahrt in einem kleinen Straßendorf endete, verfärbte sich die Sonne bereits rötlich. Der Baster brachte den Eselswagen vor einer Lehmhütte zum Stehen. Wir sprangen vom Bock.
    »Also dann. Vielen Dank fürs Mitnehmen«, sagte ich zögernd. Obwohl mir die beiden vollkommen fremd und alles andere als sympathisch waren, hoffte ich doch darauf, dass sie mich einladen würden, bei ihnen zu übernachten. Aber leider machten sie keine Anstalten dazu. Seufzend hob ich meine Hand zum Gruß. »Auf Wiedersehen.«
    »Widaseng«, rief die Frau begeistert. Der Mann nickte und lachte. Offensichtlich kannten sie dieses Wort oder es erinnerte sie an ein Wort in ihrer Sprache, das genauso klang.
     
    Die Sonne lag auf dem Wellblechdach der Lehmhütte wie ein roter Ball, der jeden Moment herunterrollen konnte. Bald würde sie untergehen, dann würde es genauso schnell wieder dunkel, wie es am Morgen hell geworden war.
    Dunkel und kalt. Die Luft war jetzt schon merklich abgekühlt. Nur meine Füße brannten, als hätten sie die Hitze des ganzen Tages in sich aufgesogen. Ratlos blickte ich mich um. Vier kleine braune Hütten, die sich an der Straße aufreihten wie die Zähne im Mund der alten Frau, das war das ganze Dorf. Aber so armselig die Behausungen auch aussahen, so erschienen sie mir doch wie Paläste. Wie gerne hätte ich in einer von ihnen die Nacht verbracht. Eine Pritsche, auf der ich mich ausstrecken konnte, oder meinetwegen auch

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