Im Land des Roten Ahorns
Jaqueline«, riet Bradley McGillion ihr, der die ganze Zeit über schweigend neben ihr gesessen hatte. »Sie sollten sich ein wenig ausruhen.«
»Ich bin nicht müde«, antwortete sie, obwohl sich ihre Knochen schwer wie Blei anfühlten.
McGillion blickte sie an, als wolle er sie tadeln. Doch er sagte nichts.
»Haben Sie das schon immer so gemacht?« Jaqueline durchbrach das beklommene Schweigen. »Ich meine, sind Sie so auf den Stämmen runter zum See gefahren?«
»Natürlich! Einen besseren Weg gibt es nicht. Als Mr Monahan erste Aufträge von weiter her bekam, stand er vor dem Problem, die Stämme über die Fälle zu schaffen. Die Eisenbahn ist wenig geeignet und außerdem zu teuer.«
»So hat er es mir auch erklärt.«
»Also hat er einen Lastkran bauen lassen, der hier ganz in der Nähe in einer Scheune untergestellt wird. Und immer, wenn er die Wagen zum Transport braucht, schickt er ein Telegramm an seine Männer in St. Catherines. Wie Sie sehen, sind sie sehr zuverlässig.«
Das sind sie wirklich, jeder von ihnen, dachte Jaqueline. Connor sollte sie fürstlich entlohnen, wenn wir in Montreal sind. Jaqueline schloss die Augen und versuchte, gegen die Tränen anzukämpfen.
McGillion entging das keineswegs. »Das Schlafen auf den Stämmen ist natürlich Gewohnheitssache«, erklärte er sanft. »Aber Sie werden sehen, man gewöhnt sich daran. Probieren Sie es doch einfach mal aus!«
Erschöpft ließ Jaqueline sich auf einen Deckenstapel sinken, mit dem hinter ihr die Rille zwischen zwei aneinanderliegenden Baumstämmen ausgepolstert war. Sie musste zugeben, dass dieses provisorische Lager nicht so unangenehm war, wie sie befürchtet hatte. Sie blickte hinauf zu den Sternen, und während sie sich fragte, ob Connor da oben zu finden sei, übermannte sie eine bleierne Müdigkeit, die sie in die Tiefen des Schlafes zog.
Am nächsten Morgen fühlte sich Jaqueline überraschend ausgeruht, auch wenn ihr Rücken sich ein wenig steif anfühlte. Während sich die Sonne allmählich hinter den Bäumen erhob, beobachtete sie, wie die Männer langsam erwachten. Außer den Kutschern hatten offenbar alle auf den Wagen geschlafen.
Nachdem sie für ein karges Frühstück Rast gemacht hatten, erreichten sie gegen Mittag die Niagarafälle.
Jaqueline stockte der Atem angesichts der Wassermassen, die über eine hufeisenförmige Felsenkante hinabstürzten, so fasziniert war sie. Über dem Kessel, in den sie sich ergossen, schwebte ein dichter Nebel, der die Sonnenstrahlen einfing. Ein Regenbogen wölbte sich über dem Bassin, in das sich die Fluten ergossen.
Obwohl sich Jaqueline in sicherer Entfernung befand, konnte sie aufgewirbelte Wassertröpfchen auf dem Gesicht spüren. Der Lärm des donnernden Wassers war ohrenbetäubend.
Kann ein Mensch diesen Mahlstrom überstehen?, fragte sie sich, während sie in die Tiefe spähte. Kann Wasser, das so sanft erscheint, einen Menschen zerreißen, oder trägt es ihn?
»Das sind die Horseshoe Falls«, erklärte Bradley McGillion. »Ein überwältigender Anblick, nicht wahr?« Er starrte ebenfalls gebannt auf das Naturereignis. Damit Jaqueline ihn in dem Getöse überhaupt hören konnte, musste er schreien. »Können Sie sich vorstellen, dass sich hin und wieder Männer in Fässern da runterstürzen?«
Jaqueline blickte ihn fassungslos an. »Wirklich?«
»Ja, einige sind so wahnsinnig. Die glauben, wenn sie nur in einem guten Fass stecken, werden sie den Sturz in die Tiefe schon überstehen. Aber den hat bisher noch keiner überlebt.«
Die Fahrt mit den Wagen dauerte noch einen weiteren Tag, bevor sie endlich das ruhige Ufer des Lake Ontario erreichten. Jaqueline versuchte, sich ihre wachsende Verzweiflung nicht anmerken zu lassen, als sie Connor auch hier nirgends entdeckte. Sie wandte sich um und betrachtete noch einmal die Niagarafälle, die aus der Ferne nicht mehr so bedrohlich wirkten.
An dieser flachen Stelle des Seeufers musste das Holz wieder abgeladen und erneut zu Flößen zusammengebunden werden.
Jaqueline wollte die Zeit nutzen, um sich Notizen zu machen. Während sie auf dem Holzstapel hin und her geschaukelt wurde, hatte sie beschlossen, den Reisebericht weiterzuführen, denn Connor hätte sie dazu ermutigt.
»Wie wollen wir die Stämme wieder ins Wasser bekommen? Ich sehe weit und breit keinen Kran«, fragte sie McGillion, während sich die Männer an den Wagen zu schaffen machten.
»Das werden Sie gleich sehen. Treten Sie ein Stück zurück, gleich wird's
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