Im Land des Roten Ahorns
konnte.
»Wenn es drauf ankommt, schon. Aber wie gesagt, ich nehme sie nur zur Sicherheit mit. Ich habe nicht vor, irgendwen über den Haufen zu schießen.«
Damit wickelte sie dem Diener das Tuch wieder um die Hand und stürmte hinaus.
»Herr Hansen hat wirklich Glück gehabt«, sagte Sauerkamp, während er den Arztkoffer schloss. »Wäre die Scherbe noch etwas tiefer in die Hand eingedrungen, hätte sie wichtige Sehnen durchtrennt. Taubheitsgefühle und Lähmung wären die Folge gewesen.«
»Aber so etwas bekommt er nicht, oder?« Jaqueline versuchte den Karbolgeruch zu verdrängen, der ihre Nase reizte. Während des Nähens hatte sie dem Arzt assistieren müssen, was nicht gerade angenehm gewesen war. Noch jetzt meinte sie die Galle zu schmecken, die ihr immer wieder hochgekommen war.
Sauerkamp schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn er sich an die Anweisungen hält, die ich ihm gegeben habe.«
Damit blickte er zu seinem Patienten. Christoph, der am Küchentisch saß, kämpfte sichtlich gegen die Schmerzen an. Um Nase und Mund war er ganz blass. Schweißtropfen perlten ihm von den Schläfen.
»Die Wirkung des Schmerzpulvers müsste gleich einsetzen«, erklärte Sauerkamp ihm. »Kommen Sie in zwei Tagen zum Verbandswechsel in meine Praxis. Nach einer Woche werden die Fäden gezogen. Und lassen Sie um Himmels willen kein Wasser an die Wunde! Erledigen Sie Arbeiten, die mit Wasser zu tun haben, mit der anderen Hand!«
Christoph biss die Zähne zusammen, bevor er antwortete: »Ist gut, Herr Doktor, vielen Dank.«
Sauerkamp verabschiedete sich, und Jaqueline begleitete ihn zur Tür.
»Sie sollten in der nächsten Zeit sehr vorsichtig sein, Fräulein Halstenbek«, ermahnte er sie noch. »Nichts ist schlimmer als Menschen, die um ihr Geld fürchten.«
»Nicht alle sind so«, antwortete Jaqueline fröstelnd. »Aber einem ist offenbar jedes Mittel recht, um seine Schuldner einzuschüchtern.«
»Haben Sie denn einen Verdacht, wer es gewesen sein könnte?«
»Ja, den habe ich. Aber ich fürchte, die Polizei wird mir nicht helfen können. Falls Sie mir gerade vorschlagen wollten, sie aufzusuchen.«
»Das wollte ich in der Tat. Und ich halte es auch immer noch für ratsam.«
»Die Polizei kann meine Fenster auch nicht wieder ganz machen. Und gegen Menschen wie diesen Fahrkrog ...«
Jaqueline stockte. Eigentlich hatte sie nicht die Absicht gehabt, den Namen zu verraten.
Sauerkamp betrachtete sie besorgt. »Auch gegen Fahrkrog und seine Spießgesellen ist ein Kraut gewachsen. Wenn Sie sich nicht wehren, wird es nicht bei zerschlagenen Scheiben bleiben.«
Das weiß ich, dachte Jaqueline. Aber wenn er sein Geld hat, wird er gewiss Ruhe geben.
»Vielen Dank, dass Sie gekommen sind, Doktor«, sagte sie sanft und reichte dem Arzt die Hand. »Ich werde darauf achten, dass Christoph sich an Ihre Anweisungen hält.«
Sauerkamp war anzusehen, dass er sich Sorgen um sie machte. »Melden Sie sich, wenn Sie etwas brauchen. Und denken Sie über meine Worte nach!«
Nachdem Jaqueline die Haustür hinter dem Arzt geschlossen hatte, blickte sie seufzend zu den Fenstern und den Scherben, die darunter glitzerten. Der eisige Wind blähte die Gardinen. Jaqueline fröstelte. Verzweiflung stieg in ihr auf. Doch sie schob sie beiseite und machte sich auf die Suche nach etwas, womit sie die Fenster abdichten könnte.
Als der Abend anbrach, saß Jaqueline im Schein der Petroleumlampe am Schreibtisch ihres Vaters. Im Arbeitszimmer war sie sicher vor der Kälte, die trotz der Abdichtung mit Karton und Holzplatten ins Haus strömte.
Gott gebe, dass ich meine Nächte niemals ganz und gar ohne Dach über dem Kopf verbringen muss!, dachte sie. Der Angriff auf ihr Haus bereitete ihr noch immer mächtiges Unbehagen. Was, wenn die Angreifer wiederkämen?
Um ihre Furcht zu verdrängen, betrachtete sie erneut die Landkarte unter der Glasplatte.
Kanada, das Land, in dem Vater sein Glück gefunden hat, kam ihr in den Sinn, und das Land, in dem Alan Warwick lebt. Vielleicht sollte ich dorthin reisen ...
Doch der Gedanke, dass sie dazu wohl kaum genug Geld haben würde, riss sie aus ihrer Träumerei. Da fiel ihr das Schmuckkästchen in ihrer Manteltasche wieder ein. Durch den Vorfall mit Christoph war sie noch nicht dazu gekommen, sich die Brosche genauer anzuschauen.
Sie lief zur Garderobe und holte es. Als sie wieder am Schreibtisch saß, klappte sie den Deckel auf und nahm die Brosche heraus. Im warmen Schein der Lampe schienen die Edelsteine
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