Im Land des Roten Ahorns
förmlich von innen heraus zu glühen. Wie kleine Flämmchen, dachte Jaqueline, während Tränen ihr erneut die Kehle zuschnürten. Hast du an dein Flämmchen gedacht, Vater, als du es in diese Schachtel gepackt hast? Warum hast du den Schmuck nicht dazu verwendet, um dich von deinen Schulden zu befreien?, sinnierte sie und seufzte.
Er musste einen guten Grund dafür gehabt haben, da er nie etwas ohne Überlegung getan hatte.
Also gut, Vater, ich werde diesen Schmuck mitnehmen in mein neues Leben, dachte Jaqueline, während sie die Schatulle wieder zuklappte. Wo auch immer ich es beginnen werde.
4
Am Tag der Beerdigung schneite es derart heftig, dass die Pferde, die den Leichenwagen zogen, nur langsam vorankamen. Die Schneekristalle stachen nicht nur ihnen in Augen und Nüstern, sie malträtierten auch die Gesichter des Kutschers und der Trauergäste, die dem Gefährt folgten.
Die Trauerfeier war anrührend gewesen. Der Pastor hatte die Verdienste Anton Halstenbeks gewürdigt, und Jaqueline hatte versucht, so gut wie möglich die Fassung zu bewahren. Sie war zutiefst gerührt, weil doch etliche Bürger erschienen waren, um ihrem Vater die letzte Ehre zu erweisen. Es interessierte sie nicht, ob die Menschen das aus ehrlichem Mitgefühl oder nur aus Pflichtbewusstsein taten.
Als sie die Kirche wieder verließen, schlossen sich dem Zug auch einige Gläubiger an, doch glücklicherweise blieben sie auf Distanz.
Im Unterschied zu diesem Fahrkrog wissen sie immerhin, was Anstand ist, dachte Jaqueline erleichtert.
Fröstelnd knöpfte sie ihren Sonntagsmantel höher zu. Trotz der Handschuhe waren ihre Finger eiskalt, während ihre Wangen von den Tränen brannten. In ihrem Inneren fühlte sich alles ebenso frostig an wie die Luft. Mechanisch schritt sie voran, während in ihrem Kopf die Gedanken durcheinanderwirbelten.
Als die Friedhofspforte vor ihnen auftauchte, brachte der Leichenkutscher den Wagen zum Stehen. Die Träger, alles alte Bekannte von Anton Halstenbek, hoben den Sarg von der Ladefläche und trugen ihn durch das Tor. Die Trauergemeinde folgte ihnen.
Als Jaqueline die hohen gemauerten Eingangssäulen passierte, schien es ihr, als verberge sich eine Person im Gebüsch nebenan. Sie sah einen braunen Mantelzipfel und erschrak.
Ob Fahrkrog auch hier ist? Im Trauerzug hatte sie ihn nicht entdeckt, aber er könnte jederzeit auftauchen. Aus der Zeitung hatte er sicher den Begräbnistermin erfahren.
Ach was! Du siehst schon Gespenster!, tadelte Jaqueline sich still, bemüht, nicht weiter ins Gebüsch zu starren.
Am Familiengrab blieben die Sargträger und die Trauergäste stehen. Sand häufte sich neben der Begräbnisstätte, und die Grube erschien Jaqueline wie ein dunkler, gähnender Abgrund. Der Sarg wurde auf Bretter gestellt, die das Loch überbrückten. Als die Halteseile in Position gebracht waren, baute sich Pastor Leutloff vor ihnen auf.
Als er anhob, vom Leben ihres Vaters zu berichten, blickte sich Jaqueline nach Christoph um, der respektvoll zurückgeblieben war, obwohl er den Halstenbeks schon viele Jahre diente.
Insgeheim wünschte sich Jaqueline, dass er neben sie treten und ihre Hand halten könnte, so wie er es in ihrer Kindheit manchmal getan hatte, wenn sie hingefallen war oder sich an den Rosenbüschen verletzt hatte.
Nachdem die Träger den Sarg in die Grube gelassen hatten, warf Jaqueline drei Hände Sand darauf und trat vom Rand zurück.
Der Strom jener, die es ihr gleichtaten oder einfach nur still und mit gezogenem Hut vor dem Grab verharrten, verschwamm unter einem Tränenschleier. Jaqueline schüttelte zahlreiche Hände, ohne dass sie sich merken konnte, wer ihr kondolierte.
Schließlich leerte sich der Friedhof. Außer den Totengräbern, die etwas abseits warteten, waren nur noch Jaqueline und Christoph zugegen.
»Gehen Sie schon vor, Christoph, ich komme gleich nach«, sagte Jaqueline. »Ich möchte einen Moment allein sein.«
Obwohl der Diener offensichtlich zögerte, wandte er sich wortlos um und ging zum Tor zurück.
Traurig starrte Jaqueline hinunter auf den Sarg. Der bescheidene Blumenschmuck war beinahe ganz von Sand begraben. Ein Schluchzen schüttelte sie, und sie fühlte sich so benommen wie in einem bösen Traum.
»Kommen Sie besser weg da, Fräulein, sonst fallen sie noch rein!«, rief da plötzlich einer der Totengräber.
Erst jetzt merkte Jaqueline, dass sie viel zu dicht an der Grube stand. Sie wich erschrocken zurück und prallte gegen jemanden.
»Eine
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