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Im Land des Roten Ahorns

Im Land des Roten Ahorns

Titel: Im Land des Roten Ahorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Bouvier
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wirklich ergreifende Zeremonie!«
    Beim Klang der Stimme zuckte Jaqueline zusammen. Obwohl sie am ganzen Körper zitterte, wischte sie sich hastig die Tränen ab und drehte sich um.
    »Warum zum Teufel schleichen Sie sich an mich heran?«, herrschte sie Fahrkrog an. Es war das zweite Mal, dass er viel zu dicht hinter ihr auftauchte.
    Der Gläubiger setzte ein süßliches Lächeln auf. »Ich schleiche doch nicht, Fräulein Halstenbek! Sie waren nur so sehr in Ihrer Trauer versunken, dass Sie mich nicht gehört haben.«
    Wahrscheinlich hättest du mich in die Grube gestoßen, wenn ich nicht zurückgetreten wäre, fuhr ihr durch den Kopf, und sie ballte die Fäuste. »Was wollen Sie von mir, Fahrkrog?«, schrie sie. »Sie werden Ihr Geld schon kriegen! Und jetzt verschwinden Sie!«
    »Warum sollte ich?«, gab der Geldverleiher ungerührt zurück. »Ihr Vater ist mir ähnlich teuer gewesen wie Ihnen! Außerdem sollten Sie nicht vergessen, wer ich bin.«
    »Lassen Sie mich in Frieden, Fahrkrog!«, zischte Jaqueline. »Und wagen Sie es ja nicht noch einmal, mir zu drohen! Ich weiß, wer die Steine geworfen hat! Sollte so etwas wie in der vergangenen Woche noch einmal geschehen, hetze ich Ihnen die Polizei auf den Hals!« Mit loderndem Blick schaute sie ihn an. Dass er die Augen zusammenkniff und seine Miene sich verfinsterte, ignorierte sie. Ja, am liebsten hätte sie ihm zugerufen, dass er es ruhig wagen solle, sie noch einmal anzugreifen.
    Doch so dumm war Fahrkrog nicht. Mit einem eisigen Lächeln, das nichts als Ärger versprach, wandte er sich um und verschwand zwischen den Grabreihen.
    Jaqueline blickte ihm zornig nach und eilte zum Friedhofstor. Auf halbem Weg kam ihr Christoph entgegen.
    »Das war Fahrkrog, nicht wahr?«
    Jaqueline nickte.
    »Hat er Sie bedrängt?«
    Als Christoph Anstalten machte, dem Geldverleiher zu folgen, legte Jaqueline ihm besänftigend die Hand auf die Brust.
    »Bleiben Sie besser hier, wir brauchen keinen neuen Ärger! Denken Sie an Ihre verletzte Hand. Fahrkrog hat mich zwar erschreckt, aber diesmal die Finger von mir gelassen.«
    »Das ist auch besser so, wenn ich sie ihm nicht brechen soll.«
    Jaqueline spürte deutlich Christophs Kampfeslust. Doch sie schüttelte beschwichtigend den Kopf.
    »Lassen Sie ihn! Er ist es nicht wert. Er wird schon Ruhe geben, wenn er erst sein Geld wiederhat.«
    Dass der Leichenschmaus wegen fehlender Finanzen ausfallen musste, war Jaqueline peinlich, aber Christoph, der sie mit wachsamem Blick auf dem Heimweg begleitete, beruhigte sie.
    »Die Leute wissen, in welcher Situation Sie sind, Fräulein Halstenbek. Niemand wird es Ihnen verübeln.«
    Jaqueline war da anderer Meinung, aber sie entgegnete nichts. Sie war in Gedanken noch immer bei Fahrkrog.
    Was wird er sich wohl als Nächstes ausdenken?, fragte sie sich, als sie die Haustür aufschloss.
    Einige Briefe, die auf dem Fußboden lagen, lenkten sie ab. Sie waren unter der Haustür durchgeschoben worden. Ein paar von ihnen wiesen auf dem Umschlag ein Kreuz oder einen schwarzen Rand auf, wie es bei Kondolenzschreiben üblich war. Ein Brief jedoch leuchtete Jaqueline wie ein tröstlicher Sonnenstrahl entgegen. Auf dem gelben Umschlag prangte der Poststempel der Canadian Mail, und sogleich wurde ihr ein wenig leichter ums Herz.
    Warwick hat geschrieben!, dachte sie erfreut, während sie mit zitternden Händen die Briefe aufhob und alle bis auf den gelben Christoph reichte.
    »Bringen Sie die bitte ins Arbeitszimmer meines Vaters! Ich sehe sie mir später an.«
    Der Diener begab sich sogleich nach oben.
    Jaquelines Herz flatterte, als sie mit Warwicks Brief im Wohnzimmer vor dem Kamin saß und den Umschlag aufriss.
    Das Feuer war beinahe heruntergebrannt, die Luft nur noch lauwarm, doch Jaquelines Wangen glühten.
    Nein, das kann noch keine Antwort auf meine Nachricht sein, dachte sie und begann begierig zu lesen.
    Verehrtes Fräulein Halstenbek,
    ich schreibe Ihnen, um mich nach dem Befinden Ihres Vaters zu erkundigen - und dem Ihren natürlich. Viele Wochen ist es her, dass ich den letzten Brief von Ihnen erhalten habe, und ich verzehre mich geradezu nach Nachrichten aus good old Germany.
    Auch in meinem Land bricht allmählich der Winter an. Die kleineren Seen frieren an den Rändern bereits zu, und erst in der vergangenen Nacht gab es Schnee, der den dunklen Wäldern ein wenig von ihrer Bedrohlichkeit nimmt. Es ist ein wunderbarer Anblick, wenn die Sonne am Morgen vom blutroten, mit violetten Schlieren

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