Im Land des Roten Ahorns
bis zu seiner Rückkehr warten.
Wenn er überhaupt zurückkehrte. Erneut spürte sie Panik in sich aufsteigen.
Da ertönte draußen Hufschlag.
Jaqueline sprang auf und stürmte zum Fenster.
Tatsächlich sprengte ein Reiter auf den Hof. Seine Züge lagen im Dunkeln, aber an der Silhouette glaubte sie Warwick zu erkennen.
Sogleich lief sie in die Eingangshalle. Obwohl sie Erleichterung über seine Rückkehr empfand, war sie zugleich furchtbar zornig.
Vielleicht ist es undankbar von mir, dachte sie. Aber eine Erklärung für das Einsperren und die fehlenden Fenstergriffe steht mir zu.
Sie hörte Warwicks Schritte auf der Treppe, und schon erschien er in der Tür.
Dass Jaqueline ihn in der Halle erwartete, schien ihn zu überraschen.
»Miss Halstenbek! Ich hoffe, Sie hatten einen guten Tag.«
Sein Lächeln steigerte Jaquelines Wut nur noch.
»Was hat das zu bedeuten, Mr Warwick?«, fuhr sie ihn an.
Er zog verwundert die Augenbrauen hoch. »Wovon sprechen Sie?«
»Sie haben mich eingesperrt!«, feuerte Jaqueline zurück. »Außerdem lässt sich kein einziges Fenster öffnen.«
»Sie wollten aus dem Fenster steigen?«
»Hätte ich denn eine andere Möglichkeit gehabt?«
Warwick wirkte überrumpelt.
Habe ich ihn zu harsch angefahren?, fragte sich Jaqueline, aber dann entsann sie sich der Angst, die sie empfunden hatte. Alles nur, weil er vermutlich vergessen hat, dass ich hier bin. Oder er hat mich mit Absicht eingesperrt, damit ich ja keinen Kontakt mit Leuten aus der Nachbarschaft aufnehme, überlegte sie.
»Ich dachte, Ihnen wäre nicht danach, das Haus zu verlassen«, entgegnete er schließlich, während er seine Tasche abstellte. »Außerdem musste ich Sie vor Eindringlingen schützen. Hier in der Gegend treiben Wilderer und Irokesen ihr Unwesen. Denen wollen Sie doch wohl kaum begegnen, oder?«
Jaqueline starrte Warwick aus großen Augen an. Seinem Tonfall nach zu urteilen, hatte er überhaupt kein schlechtes Gewissen.
»Bitte verzeihen Sie, ich wollte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten!«, lenkte er schließlich ein, doch auch sein Lächeln konnte den Eindruck nicht verscheuchen, dass die genannten Gründe nichts als Vorwände waren. »Ich bin in St. Thomas länger aufgehalten worden, als ich gedacht hatte. Eigentlich wollte ich schon gegen Mittag zurück sein.«
Jaqueline nickte nur, obwohl der Ärger immer noch in ihr rumorte. Sie zwang sich zur Ruhe, denn es war offensichtlich müßig, über die Sache zu diskutieren.
»Wie geht es eigentlich mit meinen Papieren voran?«, fragte Jaqueline beim Abendessen.
Warwick hatte Steaks aus der Stadt mitgebracht, die sie gebraten hatte. Sie waren nicht so gut wie die im Pub von Buffalo, aber Jaqueline war zufrieden. Und Warwick schien es auch zu sein, denn er schlang die Portionen in sich hinein, als sei er am Verhungern.
»Es wird noch eine Weile dauern«, antwortete er kauend und griff nach seinem Weinglas. Der Rote darin stammte aus Warwicks Weinkeller unter dem Haus, den Jaqueline nicht ausfindig gemacht hatte. »Ich habe die Anträge schon vor Ihrer Abfahrt eingereicht, aber es sind nicht die einzigen Papiere, die das Government bearbeiten muss.«
»Darf ich mich denn ohne Papiere hier aufhalten?«, fragte Jaqueline skeptisch.
»Nur als Besucherin. Als Einwanderin müssen Sie natürlich eingebürgert werden. Das bedeutet, solange Sie nicht die Papiere haben, stehen Ihnen auch keine Bürgerrechte zu. Aber die wollten Sie doch ohnehin nicht sofort wahrnehmen, oder?«
Jaqueline fragte sich, welche Rechte ihr in diesem Land überhaupt zustanden. Sie hatte sich mit dem Frauenwahlrecht beschäftigt, um das die Frauen weltweit kämpften, ohne beachtliche Erfolge zu erzielen. Kanada bildete da sicher keine Ausnahme, und es erschien Jaqueline beinahe wie Hohn, dass Warwick von Bürgerrechten sprach.
»Und wie steht es mit einer Anstellung, wenn ich keine Papiere habe?«, fragte sie weiter.
»Das hängt von denen ab, die Sie anstellen wollen. Aber ich glaube, Sie sollten sich besser noch eine Weile ausruhen. Das Wetter wird in den nächsten Wochen sicher wärmer, und wir könnten Ausflüge in die Umgebung machen. Es gibt vieles zu entdecken.«
Jaqueline spürte, dass sich in ihrem Inneren ein ungutes Gefühl ausbreitete. Hat er etwas dagegen, dass ich meinen Unterhalt selbst verdiene?, fragte sie sich. Der Unterton in seinen Worten war unmissverständlich. Sogleich regte sich Widerwille in ihr.
Er mag vielleicht der Freund meines Vaters sein,
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