Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
zuckte mit den Schultern. »Ich bin mir nicht sicher. Sag es mir.«
»Ich wollte dich nicht einfach so gehen lassen. Du hast mir verwehrt, mein Leben aufzugeben – aber genau das war ich bereit für dich zu tun. Leider hast du mir nicht geglaubt. Und mein Vater … er hat mich benutzt wie eine Marionette. Ich wollte meine Schnüre kappen, ein eigenes Leben führen. Und dich wiederfinden. Das ist mir jetzt gelungen.« Er lachte etwas verlegen auf. »Etwas spät vielleicht. Und ich bin auch nicht mehr ganz der Alte, fürchte ich. Aber ich bin hier, das ist alles, was zählt. Zumindest für mich!«
Anne traten Tränen in die Augen. »Wegen mir? Wirklich? Aber du täuschst dich: Das Mädchen, das du in England gekannt hast, das gibt es nicht mehr. Das ist irgendwann gestorben. Ich nehme an, du hast herausgefunden, dass ich in Kororareka leben musste? Niemand kommt aus dieser Hölle heraus und ist noch derselbe …«
Er nickte nur. »Ja. Ich war in Kororareka. Aber du bist eine der wenigen Frauen, die von diesem Ort wirklich weggekommen sind, die sich mit diesem Leben in der Hölle nicht abfinden wollten. Das ist doch das Entscheidende!«
»Nein. Entscheidend ist, was man dort erlebt hat. Denn das wird mich mein ganzes Leben lang verfolgen … So viel Schmutz, der sich in meiner Seele verfangen hat.« Sie brach ab.
Gregory machte einen Schritt auf sie zu, hob die Arme, um sie zu trösten. Aber Anne wich geschickt nach hinten aus und streckte ihm abwehrend eine Hand entgegen. »Lass es. Ich habe einen Mann, der mich tröstet und mich auffängt, wenn ich von den Geistern meiner Vergangenheit eingeholt werde. Da brauche ich nicht auch noch dich.« Sie klang abweisender, als sie es gewollt hatte.
Denn das, was sie da sagte, war nicht die Wahrheit. Das wusste Anne. Aber sie wollte Gregory auf keinen Fall ermutigen. Er musste verstehen, dass es keine gemeinsame Zukunft geben konnte.
Er sah ihr fest in die Augen und schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Wenn das die Wahrheit ist, wie du sie sehen möchtest, dann werde ich es respektieren. Glauben kann ich dir allerdings nicht.«
»Das ist deine Sache«, gab Anne zurück. »Es ist unglaublich, dass du mich fast vier Jahre lang gesucht hast. Ich bin gerührt, fassungslos, habe mich in dir getäuscht – das mag alles stimmen. Aber die eigentliche Tragik liegt darin, dass das Mädchen, das du einst geliebt hast, in Kororareka gestorben ist. Es gibt die kleine Anne Courtenay nicht mehr, das musst du begreifen. Ich trage Verantwortung für meine Tochter, muss mich darum kümmern, dass sie ein glücklicheres Leben führt, als es mir beschieden war. Und David ist ein guter Mann für mich und ein guter Vater für Charlotte. Das werde ich nicht ändern.«
Gregory griff wieder zur Axt. »Keine Sorge, ich werde das akzeptieren. Ich dränge mich nicht in eine glückliche Ehe, das musst du mir glauben. Alles, was ich wissen wollte, als ich die Möglichkeit hatte, dich hier zu sehen, war die Antwort auf die eine Frage: Bist du wirklich glücklich?«
Einen winzigen Moment lang zögerte Anne. Dann antwortete sie mit fester Stimme. »Ja. So glücklich, wie ich glaubte nie wieder werden zu können!« Damit drehte sie sich um und eilte zurück zum Haus. Er sollte nicht sehen, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen, sollte nicht erkennen, dass sie innerlich zerrissen war.
Gregory sah ihr nach. Sie ging aufrecht wie immer, die schwarzen Haare wehten wie eine Fahne hinter ihr her. Sie wusste es nicht, aber sie war in den letzten Jahren von einem hübschen Mädchen zu einer wunderschönen Frau gereift, egal, was ihr widerfahren war. David Wilcox konnte sich glücklich schätzen, dass er so eine Frau gefunden hatte. Gregory beobachtete, wie Anne ihre kleine Charlotte auf den Arm nahm – das Mädchen, das ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war und das sie so liebevoll behandelte. Er atmete tief durch. Er sollte eigentlich wieder gehen, endlich anfangen, sein eigenes Leben zu führen. Anne brauchte ihn nicht, das machte sie in jedem Moment, den sie gemeinsam verbrachten, deutlich. Aber er konnte und wollte sich nicht sofort wieder von ihr trennen, jetzt, wo er sie endlich gefunden hatte.
Er würde nie den Augenblick vergessen, als David Wilcox ihm von seiner Frau erzählt hatte – und ihm mit einem Mal klar vor Augen stand, dass er Anne jetzt endlich gefunden hatte. Alles, was er noch tun musste, war, das Angebot von Wilcox anzunehmen. Am Ende seiner langen Suche war es
Weitere Kostenlose Bücher