Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
er tief und fest schlief. Vorsichtig löste sie sich aus seinen Armen, stand auf und schob sich durch die Tür. Sie griff nach einer Wolldecke, die sie am Abend nachlässig über einen Stuhl geworfen hatte, und ging auf die Veranda.
Die Nacht war sternenklar, das Mondlicht tanzte auf dem Meer, während eine starke Brise für Wellen und Schaumkronen sorgte. In den umliegenden Bäumen pfiff der Wind, es rauschte so laut, dass sie nicht hörte, wie sich die Tür hinter ihr öffnete. Als Gregory leise neben sie trat, erschrak sie für einen Augenblick, dann entspannte sie sich wieder.
Er sah auf das Meer. »Hier sind wir also gelandet«, murmelte er schließlich leise in die Dunkelheit. »Am anderen Ende der Welt, in einer stürmischen Nacht, beide verwundet vom Leben. So haben wir uns das kaum vorgestellt, oder?«
»Nein.« Anne zog die Decke etwas fester um ihre Schultern. »Mir hätten ein Leben an deiner Seite und dazu ein bisschen Pferdezucht voll und ganz gereicht. Für die Aufregung ab und zu ein Rennen und als Schicksalsschlag eine Kolik bei einem Pferd oder ein Husten bei einem unserer Kinder.« Sie lachte auf. »Andererseits – vielleicht hätte ich mich irgendwann über mein unendlich langweiliges Leben beschwert. Hin und wieder ist man ja so dämlich …«
»Unsere Kinder …« Gregory schüttelte den Kopf. »Du sagst das so gelassen. Dabei wäre es das Größte. Wenn ich dich mit Charlotte sehe, dann muss ich immer wieder daran denken, dass es auch mein Kind sein könnte.«
Die Dunkelheit machte es beiden leichter, ihre wahren Gefühle auszusprechen. Anne sah nach diesen Worten zur Seite, doch im hellen Sternenlicht konnte sie nur sein Profil sehen. Er starrte weiter hinaus auf die See, während er fortfuhr. »Seit Jahren hatte ich nur ein einziges Ziel: Ich wollte dich wiedersehen. Dir erklären, dass ich es damals ernst gemeint habe, als ich mit dir gemeinsam fliehen wollte. Dir zeigen, dass ich nicht nur das verwöhnte reiche Söhnchen bin, das du in mir gesehen hast. Und jetzt bin ich hier – und ich muss erkennen, dass auch du so viel mehr bist als nur ein mutiges, lustiges Mädchen, das sich gut mit Pferden auskennt. Ich habe nicht geahnt, wie viel Kraft in dir steckt. Wie sehr du bereit bist, für deine Tochter und dich zu kämpfen. Du bist nicht nur schön geworden, sondern auch vernünftig. Die Anne, die ich vor Jahren gekannt hatte, die wäre mir mit fliegenden Haaren und leuchtenden Augen entgegengerannt. Heute denkst du nicht zuerst an dich, sondern an deine Tochter und an das, was David für dich getan hat.« Seine Stimme wurde leiser. »Und deswegen liebe ich dich noch mehr. Du bist durch deine Verletzungen nicht etwa beschädigt worden, sondern wie ein Diamant zum Strahlen gekommen. Ich kann nicht ausdrücken, wie sehr ich deinen Mann beneide …«
Anne schluckte. Was sollte sie dazu sagen? Vorsichtig suchte sie nach Worten, und es schien ihr, als ob sie in dieser magischen Nacht keine Unwahrheiten mehr hervorbringen durfte.
»Die kleine Anne gibt es nicht mehr, das ist wahr. Aber auch du hast nichts mehr mit dem Mann von damals gemein. Es stimmt: Du warst nur ein sorgloser, gut aussehender Junge. Und heute … ich hätte nie von dir angenommen, dass du ein Ziel über Jahre hinweg verfolgen könntest. Dass du dich auch von hässlichen Umständen und schrecklichen Verletzungen nicht von deinem Weg abhalten lässt. Du hast so viel mehr zu bieten, als du es damals hattest. Wäre ich nicht schon gebunden und müsste ich nicht Verantwortung für meine Familie zeigen – wer weiß, vielleicht könnten wir dann aus unserer Vergangenheit eine Zukunft aufbauen. Aber es soll nicht sein, und wir sollten mit dem zufrieden sein, was wir haben. Man muss auch dankbar sein können für das, was man hat …«
Anne verstummte und legte sachte ihre Hand auf Gregorys. So standen sie, lauschten dem Pfeifen des Windes in den Baumwipfeln und sahen auf das aufgewühlte Meer. Die Zeit spielte keine Rolle mehr.
Irgendwann zog Gregory Annes Hand an seinen Mund. Er drückte mit seinen warmen, weichen Lippen einen Kuss auf ihren Handrücken. »Dann träume ich weiter von der Zukunft, wie sie hätte sein können«, flüsterte er. »Aber eines muss ich wissen: Liebst du mich noch? Ich werde alle deine Entscheidungen hinnehmen, aber ich muss wissen, ob ich all die Jahre nur einem Hirngespinst hinterhergerannt bin! Bitte, sei ehrlich!«
»Ich kann nicht …«, begann Anne und brach ab. Dann sagte sie
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