Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
ein unordentlich aufgerolltes Tau und beschäftigte sich angelegentlich damit, es wieder in Ordnung zu bringen. Dabei stand er keinen Meter von ihr entfernt.
»Ihr solltet im nächsten Hafen, den wir anlaufen, das Weite suchen.« Er sagte das so beiläufig und ohne sie anzusehen, dass sie für einen Moment der Meinung war, sie hätte sich verhört. »Dieses Neuseeland hält für Euch nichts Gutes bereit. Das müsst Ihr mir glauben.«
Sie hob fragend die Augenbrauen. »Und was führt Euch zu dieser tiefgründigen Einsicht?«
»Das Wissen um die beste Einnahmequelle von Nathan Ardroy. Sicher, er hat schwarzen Tee, Stoffe und sogar Möbel für die neuen Kolonien geladen. Aber wisst Ihr, was dort unten am dringendsten fehlt? – Frauen. Und deswegen lockt er bei jeder Reise eine an Bord. Ich erlebe das jetzt zum dritten Mal, ich weiß, wie das endet.« Er legte das Ende des Taus ordentlich auf die Rolle, die er in den letzten Minuten gemacht hatte, nickte ihr noch einmal höflich zu und setzte dann seinen scheinbar gemächlichen Rundgang auf der Mary May fort.
Anne sah ihm verblüfft hinterher. Ihr fiel ein, wie Sir Richmond auf ihrer Verlobungsfeier erzählt hatte, dass es in den Kolonien an Frauen mangelte, und von Gerüchten plauderte, dass manche Männer sich sogar an den Frauen der Eingeborenen vergriffen, wenn sie die Einsamkeit nicht mehr aushielten. So mancher würde mit einer Wilden wie Mann und Frau zusammenleben. Das hatte Heiterkeit ausgelöst und noch mehr seine Bemerkung, dass Ardroy deswegen wohl in England nach einer passenden Frau gesucht hätte. Doch was meinte dieser Matrose mit dem »dritten Mal«? Ardroy hatte doch schwerlich schon zwei Frauen in Kororareka. Was war also mit ihren beiden Vorgängerinnen passiert – wenn sie nicht nur ein Produkt der blühenden Phantasie dieses Matrosen waren? Sie beschloss, dass sie sich in den nächsten Tagen wieder unauffällig in seine Nähe begeben musste.
Es vergingen vier Tage, bis sich die nächste Gelegenheit ergab. Er stand neben dem Steuerrad und musterte mit zusammengekniffenen Augen den Horizont, als sie sich möglichst unauffällig neben ihn stellte. Sie verschwendete keine Zeit auf Vorreden.
»Was passierte mit den beiden anderen?«
Er wusste sofort, wovon sie sprach. »Zu Master Jameson. Ein Freudenhaus, in dem der Koch ausnehmend gute Pasteten backt.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das ist doch Blödsinn. So etwas würde er nie machen.« Oder doch? Erklärte das sein schwaches Interesse? Seine offensichtliche Weigerung, sie näher kennenlernen zu wollen?
Er hob ein Fernglas vor ein Auge, suchte noch einmal den Horizont ab. »Glaubt, was Ihr wollt. Ihr könnt Euch retten, ich habe Euch gewarnt. Verschwindet, sobald sich eine Gelegenheit ergibt.«
»Was gibt es da zu plaudern?« Wie aus dem Nichts tauchte Ardroy zwischen ihnen auf. »Habe ich nicht deutlich gemacht, dass ich nicht wünsche, dass meine Anvertraute sich mit den Matrosen gemein macht?« Seine Stimme klang wütend, nichts Schmeichelndes war mehr zu hören.
»Der Matrose hat mir nur erklärt, dass wir bei guten Winden in wenigen Tag in Malaysien sein werden. Verzeiht, ich habe ihn angesprochen, weil ich neugierig war und Euch beschäftigt sah.« Die Lüge kam Anne ohne ein Problem über die Lippen.
Adroy nickte. »Ich muss dich trotzdem inständig bitten, keinen Kontakt mit den Matrosen zu suchen. Du bist monatelang die einzige Frau, die sie sehen. Da können auch anständige Männer auf unziemliche Gedanken kommen. So etwas kann schnell zu einer handfesten Meuterei werden, das möchte ich vermeiden.« Er sah sie aus seinen hellen Augen an. »Kannst du das verstehen?«
Sie nickte nur. Seine Erklärung klang einleuchtend, und es fiel ihr immer noch schwer, der Warnung des Matrosen Glauben zu schenken. Das klang doch zu sehr wie aus einem der schlechten Romane, die manche ihrer Freundinnen so gerne lasen.
Tatsächlich sollte es noch mehrere Tage dauern, bis sie in Malaysien vor Anker gingen. Von der Mary May aus sah das kleine Städtchen Penang nur wie eine Ansammlung von Hütten aus, die sich um einen kleinen Marktplatz drängten. Aber offensichtlich war es eine der wichtigen Hafenstädte in dieser Gegend der Welt.
»Ich würde mir gerne an Land ein wenig die Füße vertreten. Auf den Markt bin ich auch neugierig – ich denke, ich werde keine einzige Frucht erkennen!«, erklärte sie Ardroy in einem möglichst heiteren und harmlosen Ton. »Ich langweile mich hier an Bord
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