Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
bald zu Tode, bitte erlaubt mir dieses kleine Vergnügen.«
Ardroy zögerte. »Ich möchte nicht, dass dir hier etwas passiert. Du kennst dich hier mit den Bräuchen nicht aus, und weiße Frauen sind für die Einheimischen ein völlig neuer Anblick.«
»Ich kann auf mich aufpassen«, erklärte Anne. »Und wenn Ihr wirklich daran zweifelt, dann könnt Ihr mir ja einen Eurer treuen Matrosen an die Seite stellen.«
Langsam nickte er und sah sich dabei suchend um. Sein Blick fiel auf einen Mann, dessen Gesicht von unzähligen Falten durchzogen war. Anne hatte ihn bis zu diesem Moment noch nie beachtet. »In Ordnung. Nimm Jimmy mit. Der war schon Hunderte Mal in Malaysien, er spricht sogar den Dialekt der Einheimischen.« Er winkte Jimmy näher. »Du gehst mit Miss Courtenay an Land und zeigst ihr den Markt. Achte darauf, dass ihr nichts geschieht. Du haftest mit deinem Leben dafür, dass sie unversehrt heute Abend wieder an Bord ist. Hast du das verstanden?«
»Bin ja nicht taub«, knurrte Jimmy. »Die Miss mitnehmen, ihr ein bisschen was zeigen und wieder zurückkommen. Kriege ich hin.«
Er reichte Anne eine Hand. »Miss, dann setzen wir am besten sofort über. Am Abend kann es hin und wieder ein wenig rau zugehen in Penang. Zu viele Seeleute und zu wenige Gesetze, Ihr versteht?«
»Aber sicher«, erklärte sie, während sie vorsichtig die Leiter zu der schwankenden kleinen Nussschale hinunterkletterte, die sie hinüber ans Festland bringen sollte. Während sie auf der schmalen Bank Platz nahm, blickte sie noch einmal nach oben. Der junge Matrose, der ihr zur Flucht geraten hatte, sah ihr hinterher. Mit einer Bewegung des Kopfes zeigte er, was er von ihr erwartete: Sie sollte verschwinden. Schnell.
Als sie aus dem Boot kletterte und den warmen Sand unter den Füßen spürte, war sie sich immer noch nicht sicher, was sie tun sollte. Eine Flucht hier in Penang würde sie auch nur schutzlos an einem gefährlichen Platz zurücklassen. War es da nicht sehr viel sicherer, auf der Mary May weiterzusegeln?
»Kommt«, erklärte Jimmy und setzte sich in Bewegung.
Der Anblick der Stadt lenkte sie für einen Moment von der Frage nach einer Flucht ab. Braune Menschen mit mandelförmigen Augen starrten sie mit unverhohlener Neugier an, stießen sich in die Seiten und deuteten auf sie. Abgesehen von der hellen Hautfarbe und der großen Nase fiel Anne sofort durch ihre Länge auf. Schon in England mussten viele Männer zu ihr aufblicken, aber hier überragte sie alle Männer um Haupteslänge. Die einfachen Holzhäuser sahen nicht so aus, als ob sie einem Sturm standhalten würden – aber Anne war sich auch nicht sicher, ob in diesen Breiten überhaupt ordentliche Stürme passierten. An kleinen, bunten Ständen wurden alle möglichen Früchte angeboten. Da waren rote Früchte mit weichen Stacheln, kleine braune Kugeln, große Früchte, die angeschnitten waren und einen durchdringenden Geruch nach altem Käse verströmten. Sie hielt sich die Hand vor den Mund. Und das verführte hier jemanden zum Essen?
An einem weiteren Stand wurde frisch gebratenes Fleisch angeboten. Es roch würzig und ließ ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen. Der Koch streckte ihr ein Stück davon entgegen und forderte sie mit einem breiten Lächeln auf, es zu kosten. Vorsichtig biss Anne ein Stück ab. Es schmeckte einfach wunderbar, auch wenn sie keine Ahnung hatte, welche Gewürze der Koch wohl verwendet hatte. Sie drehte sich zu Jimmy um, aber der sah nur mit finsterer Miene vor sich hin. Ob sein Chef ihm wohl die Anweisung gegeben hatte, nur grimmig dreinzublicken? Vorsichtig sah sie sich um. Direkt hinter dem Gang führten Pfade und schmale Wege in ein Gewirr von Hütten, Büschen und Palmen. Würde dieser Jimmy sie überhaupt finden, wenn sie jetzt losrannte? Gab es überhaupt eine Chance, sich in dieser fremden Welt zurechtzufinden? Sie hatte keinen Cent in der Tasche, ihr Kleid war viel zu warm für die Temperaturen hier, und außerdem sprach sie kein einziges Wort in der Sprache der Einheimischen.
Die Sache mit dem fehlenden Geld ließ sich vielleicht ändern. Sie strahlte Jimmy mit ihrem besten Lächeln an. »Ich hätte gerne eine Portion von diesem Fleisch. Nach dem tranigen und salzigen Zeug an Bord schmeckt es einfach wunderbar. Könnt Ihr mir ein wenig Geld geben? Ich bin mir sicher, mein Verlobter wird es zurückzahlen, sobald wir wieder an Bord sind.«
Umständlich nestelte Jimmy in einem kleinen Beutel und förderte eine kleine
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