Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
ihren Tränen freien Lauf. »Ich werde dir schreiben, liebe Mama, ganz bestimmt!«, versprach sie und fragte sich dabei im Stillen, wie lange so ein Brief von Neuseeland bis nach Schottland wohl unterwegs sein mochte. Bestimmt ein halbes Jahr. Wenn ihre Mutter von einer Schwangerschaft erfuhr, dann würde sie am anderen Ende der Welt schon in den Wehen liegen.
Sie spürte, wie Ardroy sich neben sie stellte. »Master Courtenay – es wird Zeit, dass Ihr die Mary May verlasst. Unsere Fracht ist geladen, der Wind steht günstig, wir sollten in See stechen.« Seine Stimme klang kühl, so als wäre ihm der tränenreiche Abschied seiner Verlobten zuwider.
Anne löste sich aus den Armen ihrer Mutter und fiel ihrem Vater in die Arme. »Ich wünsche euch einen wunderbaren Neubeginn in Schottland. Möge euch das Glück immer hold sein und eure Pferde, für die ihr dann verantwortlich seid, immer gesund sein. Ich hoffe wirklich, dass ihr glücklich werdet … Und passt auf meine Shadow auf, versprecht ihr mir das?«
William Courtenay drückte seine Tochter, so fest er konnte, ohne ein einziges Wort zu sagen. Er wusste, es gab jetzt keine passenden Worte mehr. Dies war ein Abschied für immer, da gab es nichts mehr zu reden.
Schließlich wandte er sich ab und reichte Ardroy die Hand. »Kapitän, ich verlasse mich auf Euer Wort als Ehrenmann, dass Ihr Euch gut um meine Tochter kümmern und alle Widrigkeiten des Lebens von ihr fernhalten werdet. Könnt Ihr mir das versprechen?«
Ardroy erwiderte den Händedruck und sah Courtenay gerade in die Augen. »Ich werde auf Eure Tochter besser als auf mein Augenlicht aufpassen. Ihr habt keine Ahnung, was es für mich bedeutet, eine so wunderbare Frau mit in die Neue Welt, meine neue Heimat, zu führen. Ich verspreche, ich werde nie vergessen, wie wertvoll sie für mich ist.« Er nickte noch einmal zur Bekräftigung und reichte dann Elizabeth Courtenay seinen Arm. »Madam, darf ich Euch von Bord geleiten?«
Die nickte, ergriff den dargebotenen Arm und ließ sich den schmalen Laufgang hinunterführen. Kaum hatte die kleine Gruppe festen Boden unter den Füßen, drehte sich Ardroy um und kam mit federnden Schritten wieder an Bord. »Leinen los!«, rief er den wartenden Matrosen zu – und sie schienen mit einem Mal zum Leben zu erwachen. Die einen lösten Leinen und Taue, zogen den Laufgang ein. Andere schwangen sich am Mast nach oben und machten sich an den ordentlich gerefften Segeln zu schaffen. Anne sah fasziniert zu. Es sah aus wie eine Art Tanz, bei der jeder genau wusste, wie der nächste Handgriff auszusehen hatte. Noch ehe sie sichs versah, entfernte sich das Schiff von der Kaimauer und drehte langsam seine Nase in Richtung offenes Meer.
Anne lief zum Heck, um noch einen Blick auf ihre Eltern zu erhaschen. Die beiden standen eng aneinandergedrängt da, bewegungslos in der geschäftigen Menge, die sich dort an anderen Schiffen und deren Ladung zu schaffen machte. Sie wirkten, als ob sie umstürzen würden, wenn sie sich nicht gegenseitig Halt gaben. Anne hob die Hand, um noch einmal zu winken – und kam sich dabei vor wie ein Welpe, den man einfach allein im Wald aussetzte. Noch vor wenigen Tagen hatte sie ein perfekt behütetes Leben geführt und sich in den buntesten Farben ihr Leben an der Seite von Gregory Mallory vorgestellt. Und jetzt stand sie an Bord eines Schoners in Richtung Neuseeland, verlobt mit einem abenteuerlustigen Kapitän, der von einem Leben irgendwo im Südpazifik träumte. Sie winkte so lange, bis ihr am Schluss der Arm schwer wurde und sie endgültig keinen Menschen mehr im Hafen unterscheiden konnte. Dann atmete sie tief durch und drehte sich um.
Jetzt wurde es Zeit, nach vorn zu blicken und das eigene Glück mit beiden Händen anzupacken. Wenn ihr das Schicksal einen Mann wie Nathan Ardroy beschert hatte, dann wollte sie ihn lieben und ehren – und nicht mehr einer Wunschvorstellung hinterherweinen. Sie sah Ardroy neben dem Steuermann, wo er mit zusammengekniffenen Brauen den Horizont absuchte.
»Erwartet Ihr denn eine leichte Überfahrt?«, fragte sie, damit sich zwischen ihnen kein unangenehmes Schweigen ausbreiten konnte.
Er zuckte die Achseln. »Das kann man nie sagen. Der Anfang ist sicher ruhig, hier im Norden ist schließlich Sommer, da sind die Stürme selten. Schwieriger wird es, wenn wir den Pazifik erreichen. Aber darum mache ich mir erst Sorgen, wenn wir dort sind.«
»Sind wir nicht gerade jetzt gesegelt, um die Stürme im Pazifik
Weitere Kostenlose Bücher